Die Literaturagentin 1

In der Ausgabe der ZEIT vom 3. September hat das Feuilleton eine ganze Seite für die Literaturagentin Karin Graf (geb. 1952) freigemacht. Der lange Artikel von Ronald Düker (geb. 1970) rahmt eine große, ikonenartige Fotografie von Lena Giovanazzi (geb. 1983).

Frau Graf sitzt outside, locker postiert auf einem orangefarbenen Gartenstuhl. Sie trägt, passend zur Jahreszeit, ein Kleid mit herbstlich wirkenden Blumenmotiven, der rechte Arm stützt sich auf eine Lehne, die Hand zeigt zum Boden und führt am vierten und fünften Finger zwei kleine Goldringe vor. Der linke Arm schmiegt sich in den Schoß, und die linke Hand fügt sich schräg unter die rechte, ohne Ringe, dafür aber mit einem schwarzen, kraftvollen Armreif. Eine dunkelblaue Jacke ist weit geöffnet und erscheint wie ein halbernster Kontrast zum verspielt wirkenden Kleid.

All diese Signale codieren das Bild ihres Berufs: „Ich verstehe mich mit der Jugend (das Kleid), unterhalte mich aber auch gern mit dem Alter (die Jacke). Ich liebe die Freiheit des Outside (die Gartenstühle, die rechte, herabfallende Hand), habe alles Notwendige aber in meinen Büros gespeichert (die linke, ruhende Hand, der Armreif). Ich bin die Freundin sowie die bestens informierte Empfangsdame der Literatur.“

Was sich außerdem in ihr abspielt, erzählt die Mimik des Gesichts mit den kurz geschnittenen, blonden Haaren und dem Distanz einfordernden Blick: „Schau mich an…, aber ja, Du darfst schauen, doch ich gebe nichts preis! Geh erst einmal in Dich – und werde Dir klar, was Du willst und wer Du zu sein glaubst!“

Die Fotografie in der Ausgabe der ZEIT ist die einer Werktags- und Arbeitsphysiognomie. Was fehlt, ist das Gegenbild der investigativen Entdeckerin, die sich in den Zirkeln des literarischen Lebens umhört und jede Nuance der Gespräche mitbekommt. Auch diese Seite hat die Fotografin Lena Giovanazzi eingefangen. Jetzt ist der Blick schärfer und gleichzeitig verdeckter, und der dunkle Raum ringsum wirkt wie der eines Studioraums von Stimmen, die gerade mitgehört und gesammelt werden. In so ergiebigen Momenten kommt es darauf an, das Gehörte zu sondieren und kalkulieren. Die Emotionen sind konzentiert: auf Ideen, Pläne und Schlussfolgerungen, die im schönsten Fall große Buchereignisse nach sich ziehen.

Der Anlass für den Artikel ist das fünfundzwanzigjährige Bestehen der Agentur, an deren Anfänge ich mich selbst gut erinnern kann: Vor fünfundzwanzig Jahren ging ich mit Karin Graf an einem regnerischen Tag am Berliner Wannsee spazieren, und sie erzählte mir von einer kühnen, verrückten Idee, der Gründung einer Literaturagentur nach amerikanischem Vorbild. „Wärst Du dabei?“ fragte sie, und ich antwortete: „Sofort, wann geht es los?