Ich hatte vor, in den ersten Dezembertagen (so wie ich es oft gemacht habe) nach Venedig zu reisen. Ob das möglich ist, weiss ich momentan nicht. Meine venezianischen Freunde schicken mir jedoch laufend lockende Fotos und Nachrichten, die sich längst in meine Träume geschlichen haben und von meinen eigenen Traumfantasien weitererzählt werden.
Als wäre ich bereits in Venedig, sehe ich mich gegenüber der Kirche San Trovaso im Sestiere Dorsoduro von einer schmalen Brücke herunter zur Weinhandlung (zum Bàcaro) von Alessandra de Respinis kommen. Es ist der älteste noch vorhandene Bàcaro Venedigs, und Alessandra de Respinis ist die Erfinderin jener Cicchetti, die inzwischen an jeder Ecke angeboten werden.
Die Verbindung von Bàcaro, Wein und Cicchetti hat sie selbst in den ersten Sätzen ihres Cicchettario skizziert, in dem sie ihre Rezepte preisgegeben und der Öffentlichkeit mitgeteilt hat: „Ein cicchetto ist ein schneller, appetitanregender Happen, der im Stehen gegessen wird. Eine ombra ist ein Glas Weiß- oder Rotwein, das man zur Stunde des Aperitifs zu sich nimmt, um sich von der Mittagshitze zu erholen. Ein bàcaro ist ein Lokal, wo man einen cicchetto probiert, eine ombra trinkt und ein Schwätzchen mit Freunden hält…“ (Alessandra de Respinis: Cicchettario. Die legendären Rezepte des Al Bottegon in Venedig. Übersetzt von Lotta Ortheil, S.7)
Es ist früher Abend, die Tür von Alessandras Bàcaro ist einladend geöffnet, ich höre das Sich-Wiegen des Wassers im schmalen Canal vor der Tür, sonst ist es still.
Ich nehme die Treppenstufen auf die Tür zu, und ich höre beim Eintreten eine leise Musik. Es ist eindeutig Lautenmusik, aber ich erkenne sie nicht.
Ich stelle mich an die Theke, und einer der Söhne Alessandras schenkt mir ein Glas sein. Ich frage ihn, was für eine Musik wir hören, und er antwortet nur: „Salute, dottore…“