Heute beginne ich mit Nummern einer von mir ausgewählten Kleinen Nachtmusik, die man vor dem Schlafengehen hören und mit deren Hilfe man den Tag „ausklingen“ lassen könnte: Um sich von allem anderen abzulenken und den Weg in die Traumlandschaften zu finden. Ich mache das selbst bereits seit langem an manchen Abenden, und die Wirkung ist enorm. Vielleicht finden auch die Leserinnen und Leser dieses Blogs auf diese Weise leicht und inspiriert in den Schlaf: um die Traumsphären zu beleben.
Zu den Musikbeispielen schreibe ich kurze Texte, in denen ich die jeweilige Musik nicht erkläre oder deute, sondern den historischen Raum imaginiere, in dem sie entstanden ist. Zuhörend könnte man daher zugleich auch sehen – mit geschlossenen Augen.
Kleine Nachtmusik 1: Robert de Visée (ca. 1660-1732)
Ein Herbsttag in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts. Robert de Visée geht durch die Gärten von Versailles, deren Anlage Ludwig XIV. mit großem Interesse und eigenen Ideen begleitet. Manière de montrer les jardins de Versailles heißt seine Schrift, mit deren Hilfe er den Besuchern den kunstgerechten Besuch der Gärten erschliessen will.
Vieles wird in diesen Tagen von Grund auf durchdacht und strengen Regeln unterworfen. De Visée ist vor allem für die Musik am Hof zuständig, er ist Lautenist, Sänger und Komponist, und er spielt dem König fast täglich vor, um dazu beizutragen, die Gedanken zu ordnen und sich nicht zu übereilen, sondern angemessen Schritt für Schritt zu tun. Durch die Gärten, das Schloss und nicht zuletzt auf den weiten Wegen, die den Hof und damit das ganze Land betreffen.
Robert de Visée begleitet dieses Leben und lauscht seinem Spiel nach. Er hält den Kopf etwas schräg und beobachtet die Finger, wie sie die Saiten der Laute streifen und zum Klingen bringen. Sie gehen spazieren, so wie er selbst, Robert de Visée, der seinen Lebensraum als noch junger Mann in der Nähe des Königs gefunden hat und ihn mit seinem Spiel bis an sein Lebensende begleiten wird. Erhobenen Hauptes, stolz, auf so wertvolle und niemals prunksüchtige, sondern eher bescheidene Weise zum Wohlbefinden des Monarchen beizutragen.
Die Stücke für Laute oder Théorbe sind selten länger als einige Minuten. Sie bleiben im Hintergrund und wirken wie Episoden, die einen kurzen Stimmungsmoment erschließen – als einen Blick auf diese oder jene Pflanze oder eine andere Gartenminiatur. Der musikalische Raum, den sie eröffnen, erscheint wie eine kurze Umrundung solcher Details, nach der man sich wieder entfernt, um sich weiteren Gartenapotheosen zu widmen, geleitet von einer zugänglichen, jede Raffinesse kunstvoll verbergenden Musik – Gymnopedien bei Hofe.
Robert de Visée: Pièces pour Théorbe & Guitare, gespielt von Xavier Díaz-Latorre (CD oder Streaming, 1 Stunde und 10 Minuten)
Oder (Zur Probe…):