(Am 18.12.2020 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)
Christine und Toni aus Köln haben zwei erwachsene Töchter, die mit ihren Familien in Berlin leben und die Eltern über Weihnachten aus den bekannten Gründen nicht besuchen. Natürlich könnte man skypen und miteinander plaudern, das befriedigt mein Freundespaar aber nicht.
Toni kommt es so vor, als spielte er die Oparolle in einem schlechten Film, in dem weder Ambiente noch Beleuchtung noch der Ton stimmen. Der herumstotternde Typ mit dem verkrampften Lächeln und den schillernden Bartstoppeln, das bin ich doch gar nicht, behauptet er. Und Christine täte es richtiggehend weh, wenn im Bildhintergrund weihnachtliche Dekorationen zu sehen wären. Ihr Anblick würde sie an lauter schöne Familienmomente erinnern, die es diesmal leider nicht geben wird.
Welche schönen Momente?, habe ich extra naiv gefragt. Christine erzählte, wie früher alle auf ihre jeweils eigene Weise geholfen hätten, die Wohnung zu schmücken. Und dass sie mit ihrer ältesten Tochter das Essen gekocht und mit der jüngeren Kuchen und Plätzchen gebacken habe. Streng getrennt, weil die eine eben gern koche und die andere lieber backe. Ich fragte nach, was denn gekocht und gebacken und wie genau die Räume vom wem geschmückt worden seien. Und mein Freundespaar geriet immer mehr ins Erzählen, als schrieben sie an einem Drehbuch.
Mir gefielen ihre Weihnachtsgeschichten, es waren wahrhaftig Szenen schöner Momente, ohne Kitsch, mit dem konkreten Blick auf einzelne Menschen und ihre Vorlieben. Ich würde das aufschreiben, sagte ich – und zwar knapp und ohne erzählerisches Drumrum. Christine und Toni schauten mich an: Aufschreiben?! Im Ernst?! – Ja, sagte ich, diese ganz alltäglichen Weihnachtsgeschichten sind Euer Weihnachtsgeschenk, für jedes Familienmitglied schreibt ihr eigene. So bekommen alle ein paar Seiten, die indirekt davon erzählen, wie ihr Eure Liebsten seht und was ihr für sie empfindet.
Toni fand Schreiben anstrengend und konnte es sich nicht recht vorstellen, Christine aber wollte Beispiele hören. Es ist ganz leicht, sagte ich, folgt einfach einer guten Idee des amerikanischen Schriftstellers Joe Brainard. Er beginnt jeden Satz mit der Formel „Ich erinnere mich…“ – und macht dann mit dem genauen Fixieren der Erinnerung weiter. Etwa so: Ich erinnere mich, dass Jochen den Baum immer nur weit unten und immer nur mit den roten Kugeln geschmückt hat. Oder: Ich erinnere mich, dass Ursel besonders Quittengelee mochte und oft heimlich davon in der Vorratskammer genascht hat. Schreibt diese Erinnerungen mit Zeilenabstand untereinander und verschickt diese handgeschriebenen Listen mit Weihnachtsbriefmarken der Post so bald wie möglich.
Handgeschrieben?! Per Post?!, fragte Toni erstaunt. Ja, antwortete ich, auch Elke Büdenbender, die Frau unseres Bundespräsidenten, hat das gerade empfohlen. Ich selbst empfehle außerdem das Markenset Frohes Fest! der Deutschen Post: Zehn Briefumschläge, zehn Briefmarken à 0,80 Euro und 5×2 Grußkarten – alles zusammen für 14,68 Euro! Schreiben ist nämlich nachhaltiger als Skypen, und sich genau zu erinnern ist das Nachhaltigste überhaupt. Christine und Toni schauten mich an, als wäre ich eine etwas unheimliche, sehr ferne adventliche Erscheinung. Um sie zu beruhigen, sagte ich schließlich: Es soll auch ein Markenset 50 Jahre Tatort geben, vielleicht etwas für große oder kleine Kinder, die Krimis besonders mögen…