Vor dem tausendsten Beitrag

(Der Journalist Justus Mohle hat mich zu meinen Blogbeiträgen befragt)

Herr Ortheil, morgen werden Sie in diesem Blog Ihren tausendsten Beitrag veröffentlichen! Ich ziehe den Hut – und frage: Wie haben Sie das gemacht?

Im Grunde habe ich genau das getan, was ich seit Kindertagen tue: Täglich und kontinuierlich aufschreiben, was mir durch den Kopf geht. Ich reagiere stark auf eher zufällige Impulse, die oft von außen kommen. Ich lese etwas in den Zeitungen, ich höre ein Gespräch, ich unterhalte mich – und schon geht die innere Selektion los. Ohne langes Nachdenken, einfach einem Impuls folgend, ihn aufgreifend und vertiefend.

Wie geht so ein „Vertiefen“?

Ich notiere den Impuls und beginne zu recherchieren. Als verfolgte ich ein musikalisches Motiv und müsste Variationen dazu schreiben. Ich leihe Bücher aus, bestelle bei Verlagen Rezensionsexemplare von Neuerscheinungen, lese viel, höre mich um. Manche Impulse versiegen, die meisten aber blühen auf und wachsen – bis sie Eingang in den Blog finden.

Der Blog als eine Art Tagebuch?

Höchstens als eine Art. Das Tagebuch wäre ein intimes, nur für den Schreibenden selbst angelegtes Notieren seiner Blicke und Gedanken, der Blog aber ist öffentlich und macht Denkprozesse des Schreibenden nach außen hin sicht- und vor allem nachvollziehbar. Die Lesenden nehmen zu einem gewissen Grad an den Suchbewegungen in meiner Werkstatt teil. Sie erleben sehr nah, womit ich mich beschäftige, ja, sie können in manchen Fällen sogar beobachten, wie ein neues Buch entsteht. In meinen Gärten und Wäldern ist gerade erschienen, und dieses mir viel bedeutende und schöne Buch besteht u.a. aus Blogbeiträgen, die während der letzten Jahre zusammengekommen sind und einen roten Faden haben: Die Aufenthalte draußen im Freien, rund um meine Gartenhäuser.

Könnte man den Blog als ein literarisches Werk mit einem eigenen Werkzusammenhang verstehen?

O ja, unbedingt – und leider nehmen zum Beispiel die Rezensenten und sonstigen Beobachter des literarischen Lebens davon nicht die geringste Notiz. Sie beugen sich noch immer über Bücher, nichts als Bücher. Die digitalen Welten kommen nicht vor, das ist fast ein Skandal. Für die meisten sind Blogs Influencer-Spielplätze, mit Tipps, hübschen Fotos und kurzen Filmchen – und damit nichts anderes als kalkulierte Botschaften oder Werbung. In meinem Fall sind die Beiträge aber Fortschreibungen meiner literarischen Texte insgesamt: Ausblicke, Anbauten, Erweiterungen, Reflexionen – und sie kreisen um den zentralen Bau des kreativen Ichs mit all seinen eigentümlichen Dispositionen, das laufend seine Antennen ausfährt. Jeder Beitrag ist mit meinem Leben sehr konkret verbunden, jedes Foto, jedes Youtube-Zitat, alles erzählt meine Geschichten weiter. Das ist ja das unbedingt Neue und Großartige!

Das kontinuierliche Bloggen macht Ihnen anscheinend noch immer Spaß.

Ich würde sofort damit aufhören, wenn es nicht so wäre. Das Bloggen ist ein ganz besonderes Vergnügen, als besäße ich ein eigenes Medium, ähnlich einer Zeitung oder einem Sender, mit dessen Hilfe ich in direkten Kontakt zu den Welten um mich herum trete. Und diese Welten sind weit: Sie reichen, man stelle sich das vor, bis in die USA und Südamerika, bis nach Australien und zu den Philippinen. Von überall erhalte ich Rückmeldungen – inzwischen sind es so viele, dass ich sie nur noch zum Teil erwidern kann. Leider bin ich kein Hermann Hesse, der sich in Tausenden von Briefen mit seinen Leserinnen und Lesern unterhielt. Ich weiß, ehrlich gesagt, auch nicht, wie er das gemacht hat, ich käme da völlig durcheinander, weil ich nicht mehr überblicken könnte, was ich irgendwann einmal so alles geschrieben oder geantwortet hätte.

Sie machen also nach der Nummer Tausend weiter?

Selbstverständlich. Es ist ja alles ein großes Experiment, das mich mit jedem Beitrag neu fordert und auf neue Ideen und Wege bringt. Ich bin gespannt darauf, was noch alles so kommt…

Dann gratuliere ich herzlich und freue mich mit Ihnen auf die Zukunft, vielen Dank für das Gespräch!