Schon länger hatte ich ein Auge auf den runden Tontopf geworfen, an dessen Rändern sich im Spätherbst einige hellgrüne Fäden zeigten. Sie hingen schlaff herunter, und ich hielt sie für Unkraut, das an kälteren Tagen aufgeben und abfallen würde.
Da hatte ich mich getäuscht. Von den Rändern her breitete sich das Grün stetig aus, wucherte, näherte sich in Kreisen und Ringen dem Zentrum des Topfes und bildete schließlich einen lückenlosen Teppich aus hell loderndem Grün.
Beinahe täglich schaute ich mir die Veränderungen an und staunte jedes Mal, wenn ich das auftrumpfende Wachsen bemerkte. Als gebe es keinen Frost und keinen Winter, blieben die Stängel und Blätter eine vitale Erscheinung und ließen den ersten Schnee in schmalen Streifen durch die offenen Fugen rinnen.
Als es vor wenigen Tagen wärmer wurde, reckten sich die Spitzen der kleinen Knospen aus ihren Winterverstecken und deuteten an, dass sie schon bald weiße Miniblüten ins Sonnenlicht halten werden.
Jeden Morgen gehe ich an diesem Zaubergrün vorbei und bitte um Entschuldigung, dass ich es einmal für lästiges, überflüssiges Unkraut hielt. Ich bleibe stehen, beuge mich über seine dichte, sich gegen alle Widerstände durchsetzende Fülle – und ziehe den Hut…
(Das Buch In meinen Gärten und Wäldern ist vor kurzem erschienen, dieser Text aber ist neu und wird irgendwann in einer erweiterten zweiten Auflage erscheinen.)