Mal was anderes

(Am 16.03.2021 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)

Mal was anderes, sagt mein Freund Herbert neuerdings mindestens dreimal in einer Stunde. Er will nicht mehr über Corona reden und meidet alle Themen, die in die Nähe führen könnten. „Mal was anderes“ ist ein Signal, sich Corona aus dem Kopf zu schlagen oder von Corona abzuheben. Zum Beispiel hin zum Thema Online-Weinproben.

Herbert hat gerade eine hinter sich und meint, es sei entsetzlich gewesen: Du hast den Vortester auf Deinem Bildschirm und siehst ihn schnüffeln, kosten und reden, was das Zeug hält. Die ganze Palette des Weingenuss-Vokabulars giesst er über Dir aus, von der „beerenintensiven Restsüße“ bis zum „polyphonen Nachklang einer am Gaumen abhängenden Fruchtdosis“. Und dann sollst Du zu Hause in Deiner Muffelbude das Glas heben und mit dem Bildschirm anstoßen! Dass sich dieser Experte nicht schämt, einem so den Mund wässrig zu machen und dann derart mit dem Probieren allein zu lassen!

Herbert hält das, einmal krass gesagt, für ein Vorspiel ohne Folgen. Er erzählt, dass man den Bildschirm während der Probe auch so einrichten kann, dass andere Weinfreunde mit im Bild sind. Wie die sich oft anstellen! Als kämen sie gerade aus dem Weinberg und hätten die Edelmuskateller-Trauben persönlich gepflückt! Einer, sagt Herbert, habe davon berichtet, wie er jeden Wein standesgemäß mit Spezialkühlern präpariere. Standesgemäß hat er wirklich gesagt, lacht Herbert, stan-des-ge-mäß! Am liebsten hätte Herbert damit gekontert, dass er Thermoweinkühler verschmähe und seine Weine im Keller bei exakt zehn Grad mit chinesischen Raumventilatoren auf den kulinarischen Schluckauf vorbereite.

Manche Probanden, macht Herbert gut gelaunt weiter, zeigten bereits nach dem zweiten Kosten die Neigung zu kleinen sprachlichen Aussetzern. Einer habe von einer „Trockenbeetauslese“ und ein anderer von einer „Schaurebe“ gesprochen. Ich habe mir das mal notiert, sagt Herbert, nach der vierten Probe wird es dann richtig barock, und einige lassen sich gehen. Dann wird ein harmloser Burgunder zu einem „rasanten Gesöff“, und ein Rheingauer Weißwein feiert Triumphe: „Mit dem lässt es sich aushalten, der ist richtig pompös bettlägerig!“

Mal was anderes, sagt Herbert und hakt das Thema Onlineweinproben ab. Er hat im Netz nach Museumsführungen Ausschau gehalten und ist dort Henriette Reker begegnet. Sie sprach über die große Warhol-Ausstellung des Museums Ludwig in Köln und tat angeblich so, als wäre sie ein Leben lang hinter Warhol her gewesen und hätte kaum je an etwas anderes gedacht. Es soll wieder das typische Vorspiel ohne Folgen gewesen sein: einem den Mund wässrig machen und einen danach mit ein paar Bildchen der Ausstellung allein lassen!

Herbert war es leid und hat reagiert. Aus lauter Trotz hat er die neue, über tausendseitige Warhol-Biografie von Blake Gopnik gelesen. Der Untertitel: „Ein Leben als Kunst“. Das sitzt, sagt Herbert: So soll es sein! Keine Vorspiele, sondern das ganze Leben als Kunst! Herbert hat sich jetzt, da die Ausstellung wieder geöffnet ist, gleich ein Ticket gesichert und wird noch diese Woche seine Runden drehen, eingeweiht wie ein slowakischer Warholguru! Dessen Leidenschaft für Schuhe, seine Freude an Schaufenstern und die täglichen Wahnsinnstelefonate in Tagebuchformat – er wird so Bescheid wissen wie kaum ein anderer!

Herbert und ich – wir haben uns gut verstanden: Die Onlinesitzungen sind Vorspiele für den tiefergehenden Buchgenuss! Seit dem 8. März sind auch die Buchhandlungen wieder geöffnet! Nichts wie hin! Und noch rasch die Botschaft an Henriette Reker: Mylady, schauen Sie sich die Warhol-Ausstellung bitte live an und erweisen auch Sie sich als eine Eingeweihte!