Eine kleine Pfingstpredigt

(Am 27.05.2021 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“)

Viele meiner Freunde sprechen jetzt von der Rückkehr, das Wort kommt laufend vor. Rückkehr wohin? Und was meint genau Rückkehr? Wenn man so fragt, fangen die Probleme schon an. Rückkehr bezeichnet zunächst mal ein diffuses Gefühl und eine Sehnsucht. Man sehnt sich in die Zeiten vor der Pandemie zurück. Als wäre nichts gewesen. Flug buchen, sich an den Strand legen, fertig. Wenn es nur so einfach wäre. Dabei haben sich die Zeiten radikal geändert. Viele haben Schlimmes erlebt, das sie noch in den Träumen verfolgt. Andere waren gezwungen, ein völlig neues Leben zu beginnen, ökonomisch, psychisch, mit einem chaotischen, instabilen Gefühlshaushalt.

Die Pandemie ist kein rasch zu bewältigender Ausnahmezustand, sondern ein tiefgehender Einschnitt, der einen kompletten Neuanfang verlangt. Auch wer nur wenig von der Krankheit betroffen war, bekommt das an allen Ecken zu spüren. Transformation, Umbruch überall. In der Wirtschaft, der Politik, den Kirchen, der Kultur und im Alltag. Die Pandemie hat alle Lebensbereiche verändert und infrage gestellt, vom Wohnen über das Arbeiten bis zur Ernährung. Selbst scheinbar schlichte Freizeitaktivitäten haben ihre Unschuld verloren. Rückkehr kann daher nicht eine Wiederkehr des immer Gleichen bedeuten, sondern erfordert die Fähigkeit, die vertrauten Verhältnisse neu und anders aufzustellen. Zeit, sich darüber kluge Gedanken zu machen, war wahrhaftig genug, jetzt darf man auf die Umsetzung gespannt sein.

So gesehen, sind etwa die nächsten Bundestagswahlen andere Wahlen als jemals zuvor. Verlangt sind nicht frisch polierte Parteiprogramme, die wie üblich unatttraktiv miteinander konkurrieren, sondern weitreichende Entwürfe für die nächsten Jahrzehnte. Die stillen Zeiten der Pandemie haben als Filter gewirkt, die das Alte, Überholte und Stehengebliebe aussiebten und die Defizite sichtbar machten. Dass die bald wieder hochgetrimmte Leistungsgesellschaft rasch wieder zu rotieren beginnt, kann man erwarten. Fraglich ist nur, ob sie wirklich gelernt hat, die Erfahrungen der Pandemie zu verarbeiten und die gewonnene Nachdenklichkeit umzusetzen.

Das betrifft auch die Neubesetzung von Stellen, Ämtern und Institutionen. Die Merkelgeneration tritt ab, und die jüngeren Bewerber haben mit den Problemen zu kämpfen, die diese Generation ihr hinterlassen hat. Klima und Umwelt sind keine Themen für den alternativen Nachmittagstee, sondern Herausforderungen an sämtliche Lebensprozesse. Das betrifft auch das Lernen, die Schulen und die Konzepte und Ideen von Bildung. Viele Jüngere klagen das ein, sie wollen sich nicht mehr einreihen und weitermachen, sondern aus eigenen Anschauungen und eigenem Denken Leben gestalten. Das hat Auswirkungen auch auf die Tiefenvorstellungen von Moral, ja selbst auf die des alten Glaubens. Während der Pandemie hörte man seine Prediger kaum, die Kirchen waren mit ihren internen Problemen beschäftigt, und Predigerinnen sind noch immer nicht ausreichend willkommen. Dabei käme es längst darauf an, hellere, frischere und lebensnähere Stimmen zu hören.

Nicht zufällig hat der Münchener Theologe Jörg Lauster gerade eine Biographie des Heiligen Geistes geschrieben. Das ist nicht mehr der Geist, der über den Wassern schwebt und es bei einem Rauschen belässt, sondern der Geist, der die starken Inspirationen beschert. Rauschhaft schon, aber eben auch klar, hellwach, sämtliche Lebensprozesse durchdringend, kein Wind, sondern ein Sturm. Im September sind Wahlen, der Herbst verspricht, nicht nur offenbarend, sondern hoffentlich auch überraschend zu werden. Nichts wäre schlimmer als das Weiterdämmern in alten Betten mit höchstens neuen Bezügen.

Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs wünsche ich FROHE PFINGSTEN!