G sagt, er sei nicht mehr an derart viele Menschen gewöhnt. Noch immer beobachte er sie daraufhin, welche Masken sie wo und wie lange tragen. Sein Nervensystem sei strapaziert, er sei überempfindlich und bewege sich zögernd und vorsichtig. Wenn er mit fünf Menschen an einem Esstisch im Freien Platz nehmen solle, zähle er alle paar Minuten, ab es auch wirklich nur fünf Personen seien. In ihm sei ein innerer Zahlenspeicher installiert, in dem die Inzidenz-Zahlen mit denen der Getesteten, Geimpften und Genesenen um die besten Plätze wetteiferten.
H darf wieder im Freien bedienen. Sie ist, wie sie sagt, „überglücklich“. Vorher hat sie im Onlineshop des Restaurants gearbeitet und die Mahlzeiten zum Abholen zusammengestellt. Das hat ihr nicht sehr gefallen, es war eintönige Arbeit ohne ausreichendes Feedback. Feedback aber ist alles, jedes Wort eines Gastes hallt in ihr nach, wenn sie im Freien bedient. Die Gäste sind freundlicher als früher, findet sie. Dankbarer auch. Und die Trinkgelder sind größer. Am Wochenende möchte sie schwimmen gehen. Nicht in einem Freibad, sondern in einem der vielen Badeseen in der Nähe. Wenn ich mal wieder richtig abgetaucht bin, sagt sie, ist wieder alles in Ordnung.
Sitze mit P an den Tennisplätzen, und wir schauen den Spielern zu, die jetzt wieder regelmäßig trainieren. Im TV laufen die Übertragungen von Roland Garros. Kein Turnier hat eine solche visuelle Präsenz: Roter Sand, weiße Linien, die Zuschauertribünen mit den blumenbestückten Strohhüten. P kann stundenlang zuschauen, und anders als sonstiger Sport langweilt ihn das keine Minute. Wenn nur Boris Becker nicht wäre! Becker kommentiert die Spiele auf einem Niveau, das P nicht mehr gewohnt ist: „Da ist noch Luft nach oben“, „Das Match geht in seine heiße Phase“, „Der Serbe weiß, was ihm blüht“… – zum Schütteln und Würgen, sagt P.
K dehnt den Mittag im Freien aus, fast drei Stunden sitzt er an einem Zweiertisch zusammen mit seinem besten Freund. Sie bestellen Vorspeise, Salat, Hauptspeise, Nachspeise und eine zweite Nachspeise. Und zu jeder Bestellung ein anderes kleines Getränk. Sekt, Weißwein, Wasser, Espresso, noch einmal Sekt. So lange haben wir uns noch nie einer Mahlzeit gewidmet, sagt K. – Gewidmet? – Ja, gewidmet ist genau das richtige Wort. – Das sind ja italienische Sitten, sage ich. – Ja, sagt er, sind es. Endlich haben wir das drauf, den italienischen Mittag mit einer Mahlzeit von drei Stunden, ohne schlechtes Gewissen, völlig entspannt, als wären wir endlich in unserem Zweitleben angekommen.