Der Abschied von Angela Merkel

(Am 24.09.2021 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)

Welche Themen sind für die Wahlentscheidung von großer Bedeutung? Klimawandel, Mieten, Mindestlohn, Digitalisierung? Jajaja, murmelt es in den Lagern meiner Freunde. Keiner will aber ein Thema hervorheben, bis Friedrich, unser Politologe, sich traut.

Große Bedeutung hat nach seiner Meinung ein lange Zeit unterschätztes und bis heute in seiner starken Bedeutung noch kaum erkanntes: Der Abschied von Angela Merkel! In den letzten Wochen hat die entsprechende Abschiedssymphonie viele Medienseiten in aller Ausführlichkeit dominiert. Frau Merkel geht – wie sind die Merkeljahre einzuschätzen? Was hat sie geleistet, was nur in Angriff genommen, was liegengelassen?

Viele Nachrufe auf die Merkelära weckten die Sehnsucht nach einer Frau, die vor allem standgehalten hat. Und warum? Weil vergessene Tugenden wie Schlichtheit und Ehrlichkeit, die gegenwärtig rar geworden sind,  Erfolg hatten. Angela Merkel war die Kanzlerin irritierender Krisen, die sich seit ihrem Amtsantritt potenzierten und die Politik vor gewaltige Herausforderungen stellten. Sie hat darauf nie hektisch, panisch oder gereizt reagiert, sondern vorgeführt, welche Reste des gesunden Menschenverstandes hilfreich sein könnten, um solche Krisen zu bewältigen. Ihn mit dem Common sense zu verbinden – das war ihr einfaches, aber überzeugendes Politikkonzept.

Wer leistet so etwas in Zukunft, nach ihrem Abgang, wenn die Krisen sich noch weiter potenzieren werden? Plötzlich wurde klar, wie sehr die SPD mit Olaf Scholz von Merkels Abgang profitieren könnte. Viele Legislaturperioden hatte die Partei sich im Abseits gewähnt, ein Hinterherläufer der CDU/CSU. Der bedrohliche Abschied der Kanzlerin veränderte die Perspektive auf diese hilflosen Zeiten entscheidend. In der stärksten Regierungspartei war keine neue Merkel in Sicht, und Olaf Scholz war gewitzt genug, genau in diese Rolle zu schlüpfen und zu zeigen, dass er neben Angela Merkel ebenfalls standgehalten hatte.

Ich kann das, ich bin es – das genügte, um aus Olaf Scholz einen kompatiblen Merkelersatz zu machen. Er wirkte geduldig, verhalten, gelassen. Weitere Krisen? Sind mit hanseatischem Kalkül zu bewältigen. Je ruhiger Olaf Scholz wurde, umso mehr traute man ihm zu. Ja, der kann es vielleicht wirklich. Mit offenem Hemd, halbwegs trainiert, kein Überschäumer, sondern ein Kandidat mit leicht positivem Preis-Leistungs-Verhältnis. Gerade richtig also für deutsche Mentalitäten  der Gegenwart, in denen Visionen für die nächsten Jahrzehnte in jedem Artikel vorkommen, selten aber ernst genug genommen werden.

Olaf Scholz könnte die Regierungsbank so unbeweglich drücken, wie Angela Merkel sie endlos wirkende Jahre gedrückt hat. Ein Koalitionspaket welcher Art auch immer wird er mühelos hinbekommen, und mit Putin wird er sich ganz ähnlich vertragen wie Frau Merkel auch. An Weihnachten wird er todlangweilige TV-Reden halten und sich mit Annalena Baerbock auf einem Potsdamer See beim Schlittschuhlaufen zeigen. Das Rumoren von Robert Habeck wird er gekonnt weglächeln und regional ganz auf den Norden setzen. Die rheinische Frohnatur Armin Laschet wird dann längst wieder im Aachener Hinterland verschwunden sein – rheinische Temperamente versteht das wählende Volk sowieso nur, wenn die Kandidaten Adenauer heißen.

So sprach Friedrich, unser Politologe. Meine kölschen Freunde schüttelte es. Vor einigen Monaten wähnten sie sich bereits auf der Laschetschen Siegerstraße, gleichsam im Festkomitee. Und jetzt? Für uns Rheinländer könnte es kalt und fies werden, sagen sie und nähren die letzten Hoffnungen kurz vor dem Wahlabend. Armin Laschet soll nämlich, nicht aus der TV-Ferne, sondern ganz aus der Nähe betrachtet, unglaublich sympathisch sein. Dieser gewisse Funke könnte sich im letzten Moment durchsetzen, hoffen meine Freunde. Aber nur wenn Olaf Scholz endlich eingesteht, dass er lediglich ein Vizekanzler ist.