Nach der Buchmesse – Nachlese 2

Nahe dem Haupteingang zum Frankfurter Buchmessengelände verläuft der Kettenhofweg von der Senckenberg-Anlage (mit dem Naturkundemuseum) bis zur Alten Oper.

Als Jugendlicher bin ich ihn oft entlang gelaufen und habe manchmal vor dem Haus Nr. 123 angehalten, wo der Philosoph und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno wohnte. Viele seiner Texte hatte ich mit großer Bewunderung gelesen, etwa die Minima moralia oder auch seine Noten zur Literatur.

Einmal habe ich bei ihm angerufen. Ich hatte ihm einen langen Brief geschrieben und wünschte mir eine persönliche Antwort. Seine Frau meldete sich und sagte, er könne nicht mit mir sprechen, da er sich in der Badewanne befinde. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Theodor W. Adorno in einer Badewanne saß. Deshalb insistierte ich nicht weiter und schrieb ihm einen  zweiten Brief, in dem ich mich für den Anruf entschuldigte.

Wenig später lud er mich in seine Wohnung ein. Ich durfte ihm auf dem Klavier vorspielen, und er unterhielt sich lange mit mir.

Heute befindet sich am Haus Kettenhofweg 123 eine Plakette, die von der Stadt Frankfurt dort angebracht wurde. Sie erinnert an Theodor W. Adorno. Er trägt eine voluminöse Brille, wie er nie eine getragen hat. Seine Brille war klein und unauffällig. Die Plakettenbrille ist eine Ruhmesbrille, sie will sagen: Die kleine Brille ist gewachsen, sie hat sich um den Adorno-Ruhm vergrößert.

Als ich die Plakette während meines Spaziergangs wieder einmal betrachtete, dachte ich: Spiel Dich nicht so auf – Theodor W. Adorno war ein leiser, ruhiger Mensch und kein Mediendirektor…