Wie es weitergeht

Herr Ortheil, Sie waren gerade einige Tage in Klausur, um ein literarisches Projekt zu beenden. Worum handelt es sich?

Ich arbeite eigentlich immer an mehreren Projekten zugleich. Das tut ihnen gut, denn dadurch konzentriert sich das Hirn nicht einfältig auf einen Text und sein Kontinuum, sondern switcht laufend zwischen den Molekülen mehrerer Projekte hin und her. Sie regen sich gegenseitig an, dadurch entstehen unerwartete Konstellationen.

Beendet habe ich in den letzten Tagen mein Theophrast-Projekt, von dem ich bereits einige Bausteine in diesem Blog veröffentlicht habe. Theophrast hat im alten Athen die Charaktere seiner nächsten Umgebung studiert und porträtiert, das habe ich zum Anlass genommen, aus heutiger Perspektive über „Charaktere in meiner Nähe“ zu schreiben. Fünfzig Charaktere habe ich so entstehen lassen, kuriose, humoristische Betrachtungen zur Comédie humaine unserer Zeit.

Werden sie als Buch erscheinen?

Ja, die Charaktere in meiner Nähe werden in diesem Herbst 2022 im Reclam-Verlag erscheinen, wunderbar ausgestattet und mit einem Umschlag, der durch ein Bild von Edward Hopper gestaltet wird. Das wird ein sehr schöner und bestimmt anregender Band, der dazu verführen könnte, die Mitmenschen genauer zu beobachten und zumindest in bestimmten Hinsichten auch zu begreifen

An welchen Projekten arbeiten Sie außerdem?

Ich denke momentan sehr viel über Fotografien nach. Der Anlass ist ein Vortrag, den ich am 19. Mai im Siegener Museum für Gegenwartskunst über den Fotografen August Sander halten werde. Dabei geht es aber nicht nur um Sander, sondern eher um die Ideen und Philosophien, die ich mit Fotografie verbinde.

Ich frage also: Was hat dieses Medium mit mir gemascht, wo ist es in Erscheinung getreten, wie bin ich damit umgegangen? Daraus entstehen vielleicht neue Gedanken über Fotografie und Film. Die sollen nun wiederum in einem Band erscheinen, der im Frühjahr 2023 bei btb erscheint. Er wird jene „Kunstmomente“ sammeln und vorstellen, die in meinen bisherigen Werken eine wichtige Rolle gespielt haben.