Szenen der Bemutterung

(Am 4.8.2022 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)

Neulich erhielt ich nach einem WhatsApp-Anruf eine Rückmeldung: „Waren Sie mit Ihrem WhatsApp-Anruf zufrieden?“ Ich empfand die Frage zunächst als indiskret und ärgerte mich, dass ich meinen Freund Peter angerufen hatte. Er hatte mir von seinem nagelneuen E-Bike erzählt und davon, wo er es erstanden hatte – es war eine lange, komplizierte Geschichte. „Nein“, sagte ich leise, „mit diesem Anruf war ich nicht zufrieden.“ Schließlich wollte ich mich über ein ganz anderes Thema unterhalten. Badeseen in der Umgebung – darüber hatte ich sprechen wollen. Peter kennt viele Badeseen. Seit er ein E-Bike benutzt, sind es noch einige mehr geworden, leider sind wir auf dieses Seitenthema aus- und abgewichen.

Dann aber kam mir der Gedanke, dass die Fragestellung von WhatsApp vielleicht nur die technische Seite des Anrufs im Blick hatte. Konnte man darüber lange schreiben und reden? Vielleicht, ich aber kann es als ewiger Digital-Debütant leider nicht. Warum fragte man mich überhaupt? Warum sollte ich einen harmlosen Anruf bewerten oder gar kommentieren?

Ich erinnerte mich, dass mir DHL seit einiger Zeit lange Mails schickt. Sie kündigen Pakete an und fragen nach, wo sie abgelegt werden sollen. Bitte an einem sicheren, geheimen, nicht einsehbaren Ort! Ich habe mich zunächst für einen kleinen Schuppen neben dem Haus entschieden, stellte mir dann aber vor, wie schwer es die DHL-Botin haben würde, sich in der chaotischen Dunkelheit des Schuppens zurecht zu finden. Den Vorschlag, die DHL-Sendung vor der Haustür abzulegen, fand ich verlockend. Dann erschien er mir aber trotz seiner poetischen Stimulanz („Das Paket vor der Haustür“ wäre ein möglicher Titel für eine Short-Story) doch zu leichtsinnig. Ich entschied mich schließlich für die Variante „Bitte klingeln!“, das war im Grunde noch schöner: Eine klingelnde Postbotin! Ein Paket, das nicht abgelegt, sondern feierlich überreicht wurde!

Ich träumte von der hochpoetischen Szene, als sich Amazon meldete: „Ihre Bestellung ist auf dem Weg zu Ihnen und nur noch fünf Stationen entfernt!“ Wirklich?! Ich studierte die Anfahrt des Amazon-Boten auf dem Stadtplan-Ausschnitt, auf dem die einzelnen Stationen punktgenau markiert waren. „Was heutzutage nicht alles möglich ist“, flüsterte ich und verbat mir streng, diesen Greisensatz ein zweites Mal zu denken. Dann aber wurde ich unruhig. Wusste der Amazon-Bote, wo er sein Paket abzulegen hatte? Wäre er zum Klingeln zu bewegen? Nein, sagte ich mir, Amazon-Boten klingeln nicht, sondern springen, wie mir mein Freund Peter einmal erklärt hat, aus Zeitgründen notfalls über einen Zaun und hinterlegen die Sendung in einem Baumwipfel. DHL-Botinnen haben noch ein wenig Zeit, Amazon-Boten dagegen gar keine. So ist das anscheinend.

Inzwischen träume ich von weiteren Digital-Manövern intensiver Bemutterung. Wenn ich einen Tisch in einem Restaurant reserviere, könnte man man mir mein Kommen über einige WhatsApp-Botschaften geradezu schmackhaft machen: „Mögen Sie Schmucklilien auf Ihrem Esstisch? Wenn nein, machen Sie einen anderen Vorschlag!“ Oder: „Wir haben für Sie einen schattigen ovalen Esstisch auf unserer Terrasse reserviert! Wünschen Sie eine Tischdecke im rot-weißen Leinwand-Style oder in dunkelrotem Damast? Luigi, Clarisse und Hendrickje werden Sie bedienen! Entscheiden Sie sich für eine Reihenfolge!“

„Bitte von Süden nach Norden“, würde ich vorerst mal antworten, „entscheidend ist der Geburtsort! Das darauf anspielende Getränk wähle ich in Abstimmung mit der jeweiligen Bedienung!“