Erinnerung an Papst Benedikt XVI.

Heute, am Tag des Abschiednehmens von Papst Benedikt XVI. in Rom, erinnere ich mich an die Tage, als ich ihn 2005 während seiner ersten Auslandsreise und des Weltjugendtages in meiner Geburtsstadt Köln erlebte. Damals bewegten sich Hunderttausende junger Pilgerinnen und Pilger durch die Stadt, zum Abschlussgottesdienst soll eine Million Gläubige versammelt gewesen sein.

Über dieses Erlebnis habe ich damals in der FAZ einen Artikel veröffentlicht. Hier ein kurzer Ausschnitt:

(—) Betrat man den Kölner Dom früher durch ein Drehkreuz oder eine gläserne Schiebetür wie eine Stadtkirche unter vielen, schlich man durch das Dunkel seiner Seitenschiffe bis zur Vierung, wurde man dort aufgehalten von Gittern und gesperrten Zonen, so öffnete er sich jetzt, nach der Öffnung des Hauptportals und der Befreiung von allen Sitz- und Knie-Bänken, in seiner ganzen Weite und in einer lichten Helligkeit als ein einziger gewaltiger Pilgerraum, in dessen Chor der Schrein der Heiligen Drei Könige als eigentliche Mitte zu schweben schien.

Die Stadtdurchkreisungen der Pilger mündeten in diesen Chor und erinnerten so wieder daran, wo sich das mittelalterliche Zentrum der Stadt befand, es war genau jenes Zentrum, das Benedikt XVI. nach seiner Ankunft in Köln in einer den Bewegungen der Pilger nachempfundenen Stationenfolge anlief.

Der Weg vom Rhein her, zu Fuß den Domhügel hinauf, war ein mittelalterlicher Pilgerweg, der den Dom mit den römischen Ursprungsplätzen der Stadt am Rhein verbindet. So gesehen, reihte sich der Papst ein in die spirituelle Verwandlung, die die heutige Stadt anders liest und zu Lesarten zurückfindet, die ihre historischen Tiefenschichten und Gründungsmythen berührt.

Aus der Ferne kommend und doch mit Köln heimatlich verbunden, kam Benedikt XVI. inmitten der Pilgerscharen dabei die Funktion einer Leitgestalt zu: Sein Erscheinen verteilte die Scharen am Rhein, zog sie in die Länge, ließ sie auf Plätzen und Straßen zusammenrücken und führte sie am Ende hinaus in die Weite des Marienfeldes, wo sich ihr endgültiges Zusammenfinden zwischen den Lichtern der nächtlichen Vigil dann vollzog.

Der Zusammenschluss und das gegenseitige Sich-Finden am Ende der mehrtägigen Pilgerschaft durch die unterschiedlichsten Zonen der Stadt rekonstruierte die Idee des Gottesvolkes, das sich auf ein Zeichen hin über alle Grenzen hinweg trifft und im Blick auf die ins Zentrum gerückte Monstranz begegnet.

In seinen Lebensformen des Mittelalters hat der Historiker Arno Borst erläutert, dass man dieses Zusammenkommen im Mittelalter als Wunder verstand: „Das heißt oft im Mittelalter Wunder: Aufhebung menschlicher Gegensätze und Besonderheiten, Übereinstimmung aller, Einklang zwischen Gott und Geschöpfen. Das Wunder kann provoziert werden, durch liturgisches Verhalten, durch Gottesdienst, Glockenklang, Gesang und Prozession; aber es ereignet sich nicht im liturgischen Rahmen des Gotteshauses, sondern im Freien.“

Das „Gottesvolk“ findet also nicht durch Anordnungen und Befehle zusammen, sein Zusammenschluss „ereignet sich“ und wirkt daher unaufdringlich, beinahe schwerelos. Genau diese Leichtigkeit aber verkörperten die Pilger von Köln, sie wirkten wie von ferne gerufen und wie von ferne geführt, und ihre Gesänge und Tänze erschienen als Ausdruck einer immensen Begeisterung und Freude, die ihre Kraft rein aus sich selbst und nicht aus stimulierenden Hilfsmitteln oder den heute üblichen Vergnügungsprothesen bezog.

Es erscheint wie ein Zusammenklang, dass sich der neue Papst in seiner Grußbotschaft zum Beginn des Weltjugendtages bereits genau diese enthusiastischen Momente der Begegnungen erhoffte. Der Weltjugendtag, hieß es da, solle nicht nur ein „Fest des Glaubens, der Freude und der Geschwisterlichkeit“ werden, sondern auch ein Fest aus dem Bewusstsein heraus, dass es „schön“ sei zu glauben; nicht Regeln und Verbote machten den Glauben aus, sondern seine Größe, Weite und Schönheit.

Genau auf diese lange nicht mehr gehörten Akzentsetzungen schienen die jungen Pilger von Köln zu antworten. Sechs Tage lang gaben sie ein beeindruckendes Zeichen von „schönem“ Leben.