Luzia Braun und Ursula März hatten eine sehr gute Idee: Sie trafen sich mit neunzehn ausgewählten, mehr oder minder bekannten Personen des öffentlichen Lebens, ließen sie in einen Spiegel blicken und fragten (niemals aufdringlich, sondern entspannt, neugierig) nach, welche Eindrücke das Gegenüber mit seinem Gesicht verbindet.
Die Fragen zielen nicht nur auf das Erlebnis eines Bildes und die Figuren des Selbst, die sich dahinter verbergen, sondern auch auf die Geschichten des Umgangs mit Fotografien oder Bildern: Betrachtet man sich gern? Setzt man sich Spiegelbildern immer wieder aus, oder ist man vor dem eigenen Gesicht/Aussehen auf der Flucht?
Der Fotograf Fabian Schellhorn hat die Angesprochenen mit Hilfe einer Schwarz-Weiß-Fotografie, die jeweils nach den Gesprächen eingeblendet wird, porträtiert. Vom Blick in den Spiegel geht der Blick also auf eine Fotografie – und schon entsteht die Wahrnehmung eines Doubles: Wer ist das? Bin ich das? War ich einmal dieser Fremde? Was sagen die Bilder über mich? Was verschweigen sie?
Die Gespräche sind keine trockenen Analysen, sondern unterhaltsame Konversationen, was daran liegt, dass Luzia Braun und Ursula März sich nicht nur als Fragestellerinnen verstehen, sondern ihre eigenen Beobachtungen (auch die ihrer eigenen Person) mit einbringen. Das führt zu einem erfrischenden, unkomplizierten Austausch der Meinungen und Perspektiven.
Das Gespräch mit dem Philosophen Peter Sloterdijk eröffnet (und wie!) den Band, der Boxer Axel Schulz, die Neurowissenschaftlerin Meike Ramon, der Mode-Designer Wolfgang Joop, aber auch die Schülerin Elsa und die Psychologin Clemendina Ngina Hügle folgen – schon die Auswahl ist bestechend und gut überlegt, so dass es rundum eine Freude ist, in diesem Band zu lesen und sich auf die Spur zu kommen: Wie hätte ich wohl geantwortet? Was hätte ich von mir erzählt? Wen erkenne ich auf Fotografien, die von mir gemacht wurden?
Luzia Braun und Ursula März: Sich sehen. Gespräche über das Gesicht. Galiani Berlin 2022