(Heute auch als Kolumne im Kölner „Stadt-Anzeiger“, S.4)
In diesen Zeiten nach dem scheinbaren Ende der Pandemie berichten mir viele Freunde, dass sie eine andere Einstellung zu ihrer Arbeit haben als noch vor Jahren. Dabei geht es nicht um die modisch erscheinenden Trends eines „Quiet quitting“ und damit einer Arbeit, die keine Verausgabung, sondern eine Art „Dienst nach Vorschrift“ verlangt. Die Ansprüche sind vielmehr höher, indem die Arbeit mit dem verglichen wird, was man „die Eigenzeit“ nennen könnte.
Die Reklamierung dieser Eigenzeit schaut genauer darauf, wieviel tägliche Zeit der Gestaltung des eigenen Befindens und jener Visionen dient, die ich in meiner Lebenszeit verwirklichen will. Da sie begrenzt ist, muss ich mit ihren Zeiträumen verantwortungsvoll umgehen und planen. Und das nicht, um sie im alten Sinn „gewinnbringend“, sondern um sie „wertvoll“ einzusetzen. Zu den damit zusammenhängenden Wertmaßstäben gehört auch, wie und von wem meine Arbeit anerkannt und mitgestaltet wird.
Der Blick auf die aktiv und sichtbar gewordene Eigenzeit ist zum großen Teil in den privaten Räumen des Homeoffice entstanden. Die dort geleistete Arbeit war immer auch begleitet von der Konkurrenz der Menschen, Atmosphären und Dinge, die einen starken Raum der Nähe und der intensiven Beziehungen mit sich brachten. Ihnen gegenüber wirkte bloß geleistete und pflichtschuldig absolvierte Arbeit schal und freudlos. Sie diente den fremd wirkenden Interessen von Ansprüchen, die nur noch von außen kamen und daher unfähig erschienen, eigene Innenwelten mit zu mobilisieren.
Inzwischen kommt es mir so vor, als zeichnete sich durch diese Entwicklungen die Herausbildung eines Typus ab, der gegenüber den Machtinteressen der Arbeitsfunktionäre eine gewisse Bescheidenheit ins Spiel bringt. Sie macht sich für die Vitalität des eigenen Erlebens in Verbindung mit wohltuenden Kreisen und Umgebungen stark. Das hat mich an die Lehren des spätantiken Philosophen Epikur erinnert, dessen Philosophie der Bescheidung immer auch eine von Freude und Geselligkeit war: „Ein Gärtchen, Feigen, kleine Käse und dazu drei oder vier gute Freunde“, so hat Friedrich Nietzsche Epikurs Lebensszenen skizziert.
Dazu passt die große Begeisterung, mit der die Ausstellung der Bilder des niederländischen Malers Jan Vermeer gegenwärtig in Amsterdam gefeiert wird. Wenige Wochen nach der Eröffnung ist sie auf Monate hinaus ausverkauft, Hunderttausende haben sich bereits angemeldet, um sich in die stillen Räume Vermeers zu vertiefen. Was fällt an ihnen auf? Jan Vermeer malt keine mythologischen, biblischen oder historischen Szenen, sondern den Alltag weniger Menschen, die sich besonders nahe sind. Sie benötigen, um sich an ihrem puren Dasein zu erfreuen, keinen Überbau, sondern sich selbst, ihr Tätigsein und das Glück, das ihr nahes Füreinander bedeutet.
Vermeers junge Frauen schauen einen an, lesen in Briefen, machen Musik oder gießen mit aller Vorsicht Milch aus einem Krug in eine Schale. Ihre Auftritte sind Einladungen, sich genau auf solche Daseinsmomente zu konzentrieren und sie nicht gering zu schätzen. In ihrer Schönheit zeigt sich ein Ethos des Bewahrens und Erhaltens, das sich gegenüber allen hastigen, freudlos absolvierten Tätigkeiten bildstark behauptet.
Manchmal habe ich in diesen Zeiten den Verdacht, als seien einige meiner Freunde dabei, Epikureer zu werden. Sie ignorieren die Großmannsgesten von früher und orientieren sich an Maßstäben der Freude, wie sie der von Epikur inspirierte Vermeer ins Bild gesetzt hat. In hoffnungsarmen Momenten denke ich daran und freue mich auf unsere nächsten Begegnungen.