Meine nächsten Frühjahrs-Lesungen erscheinen mir sehr vielversprechend. So etwa die Lesung am kommenden Samstag (29.04.2023) in Paderborn, wo ich zusammen mit der Pianistin Olga Scheps das Literaturfestival Wege durchs Land eröffne (18 Uhr in der Kaiserpfalz Paderborn).
Ende Dezember 2022 machte mir die Festspielleitung einen erstaunlichen Vorschlag: Ich sollte zusammen mit Olga Scheps den Eröffnungsabend des Festivals auf ungewöhnliche Weise gestalten. Gedacht war an eine Folge von Briefen, die ich Olga Scheps schreiben würde. Auf jeden Brief würde sie mit einem Musikstück aus ihrem Repertoire antworten, worauf ich wiederum mit einem Text reagieren könnte. Text & Musik, Musik & Text in enger Verbindung. Ich sagte sofort zu, da ich mich auf dieses Experiment freute.
Bis Ende Dezember 2022 hatte ich Olga Scheps noch nicht persönlich kennengelernt, wusste allerdings, dass sie seit Jahrzehnten in Köln lebt. Außerdem hatte ich viele ihrer Einspielungen gehört und gesehen, wenn auch nicht live, so doch zumindest über andere Kanäle. Ich telefonierte mit ihr, und wir fanden heraus, dass sie nur wenige hundert Meter entfernt von meiner kleinen Kölner Behausung wohnt. Schon war eine erste Idee für meine Erzählung da: Ich wollte von jenem Raum im Kölner Norden erzählen, den wir beide kannten, und meine Texte genau dort ansiedeln.
Eine zweite Idee betraf die Figur eines Erzählers. Ich wollte ihn am frühen Morgen, nach dem Aufstehen, auf den Weg schicken. Es sollte eine Person mit ungewöhnlichen Fähigkeiten sein, denn er nahm seine Umgebung so wahr, als spräche sie zu ihm in Tönen und Klängen.
Ich versuchte es mit der Briefform, fand allerdings schnell heraus, dass ich Olga Scheps noch zu wenig kannte, um ihr lebendige Briefe schreiben zu können. Deshalb begann ich mit einer Erzählung in Stationenform, die ich Wege durch den Tag nannte. Auf meinen ersten Text reagierte Olga Scheps mit einem meiner Lieblingsstücke, indem sie mir die Aufnahme einer Komposition von Robert Schumann schickte: Faschingsschwank aus Wien.
Dadurch angeregt und auf den Weg gebracht, erkundete mein Erzähler den Morgen: Würde es ein glücklicher, gelungener Tag werden und welche Rolle spielten darin die oft geheimen Verweise auf Musik? Die Erzählung erhielt schon bald eine synästhetische Komponente: Worte, Farben, Klänge und Aktionen bildeten ein Ensemble, das von den Kompositionen, die Olga Scheps schickte, aufgegriffen und verwandelt wurde.
Sie überraschte mich mit Stücken von Schumann, Debussy, Satie, Mozart, Beethoven und Haydn – und ich wurde immer tiefer hineingezogen in einen Sog. Seltsamerweise schickte sie mir, ohne es zu ahnen oder wissen zu können, beinahe ausschließlich Stücke, die ich selbst in längst vergangenen Tagen einmal gespielt hatte.
Daher erlebte ich die Kompositionen so, als wollten sie mich an meine Vergangenheit erinnern. Manchmal trieb es mich ans Klavier, bis hin zur Versuchung, die Stücke selbst zu spielen. „Wenn ich zwei Wochen nicht übe, fühlen meine Finger sich an wie Beton“, hatte Olga Scheps einmal gesagt. Genau so war es leider auch in meinem Fall, nur noch schlimmer.
Dass Olga Scheps gerade die Soloparts von Rachmaninows zweitem und drittem Klavierkonzert übte, entnahm ich ihrer Homepage. Am Ende meiner Erzählung schickte ich den Erzähler in die Nähe ihrer Wohnung. Plötzlich sprang meine Geschichte über – und Olga Scheps intonierte im Kopf meines Erzählers Takte von Rachmaninow. In welchen Welten spielte meine Erzählung? In denen eines Traums, in dem Text und Musik sich gefunden hatten.
Diese Veranstaltung verspricht also ein ungewöhnlicher, einzigartiger Abend zu werden, auf den ich mich besonders freue!