Mit David Wagner durch Berlin

Ich geh‘ so gern durch diese Stadt…- nein, das tu ich leider nicht, denn mit dieser Stadt meint der seit vielen Jahren in Berlin lebende Schriftsteller David Wagner die Stadt Berlin. David Wagner ist meist allein durch Berlin gegangen, und immer wieder hat er über einen seiner vielen Stadtgänge eine Berlin-Geschichte geschrieben. Nichts, aber auch gar nichts entgeht ihm, er beobachtet die kleinsten, subtilsten Details und lässt einen als Leser teilnehmen an den ungewöhnlichsten Spaziergängen, die man mitgehen und miterleben möchte.

So sind genaue und lebendige Stadt-Porträts entstanden, nur in Berlin konnten sie sich so charakteristisch ergeben, denn David Wagner hat seine Wege und Ziele danach ausgewählt, was sie an stark Berlinerischem anbieten. Dabei paktiert er nie kumpelhaft mit dieser Stadt, die darin sehr stark ist und das gerne will: Dass man kumpelhaft mit ihr umgeht, den flotten Mitgänger macht und alles so was von toll und eigen und extra findet.

Dass David Wagner sich nicht anbiedert, liegt daran, dass er eigentlich aus dem Rheinland kommt und eine Innensonde des Rheinländischen phosphoreszierend mit sich herumträgt, die vom Seelischen her gegen das Berliner Theater mit verhaltener Ironie anstrahlt. Das Rheinland, funkt es in ihm, ist Tausende von Jahren alt, wie gut, dass einen die Eltern in diesen welterfahrenen Ländereien auf die Welt geschickt haben. Eine solche Herkunft ist eine fast ideale Voraussetzung dafür, dass das junge Berlin einen zwar überraschen, aber nie in den Schwitzkasten nehmen kann.

Diese Überlegung  erinnert mich (als Rheinländer) daran, wie häufig in Berlin lebende Freundinnen und Freunde mich nach Berlin eingeladen und mir ausgemalt haben, wie interessant es gerade für mich als Rheinländer wäre, nicht nur durch Berlin zu gehen, sondern sogar in Berlin zu leben.

Einmal, noch fast im Kindesalter, habe ich Berlin-Stadtgänge aufgeschrieben, und es ist daraus später sogar ein Buch (Die Berlinreise) geworden, in dem alles drinsteht, was ich von Berlin zu erzählen habe. Spätere Kurzreisen haben mich jedes Mal an diese frühen Geschichten erinnert, und da die Erinnerungen schneidend tief ins Seelenmark gingen, reiste ich jedes Mal rasch wieder ab und war heilfroh, wenn Berlin aus meinen Blicken verschwand.

Ich habe es also nie mehr geschafft, weitere Berlin-Spaziergänge zu schreiben, obwohl ich das sehr gerne getan hätte und fest glaube, dass man unsere deutschen Gegenwartswelten brillant erfassen und spiegeln kann, wenn man als aufmerksamer Beobachter in Berlin unterwegs ist.

Zwei größere Städte gibt es, die ich stattdessen häufig begehe, Köln natürlich und Stuttgart (eher in Maßen). Köln kann es mit Berlin in jedem Fall aufnehmen, das ist ganz klar, Stuttgart kann das nicht, aber Stuttgart ist ein besonderer Fall, keine Großstadt im eigentlichen Sinn, sondern eher eine stark bewaldete Hanglage, was ich hier jedoch nicht lange erklären will.

Denn der Rowohlt-Verlag hat die drei Berlin-Bücher, die David Wagner seit 2001 im Abstand von jeweils zehn Jahren geschrieben hat, jetzt in einem einzigen Buch auf fast fünfhundert Seiten für den Spottpreis von 20 Euro zusammengeführt: Ich geh‘ so gern durch diese Stadt. Die Berlin-Geschichten.

Wenn ich darin lese (und ich lese oft darin, jeweils nur eine der vielen Geschichten, die mich, ehrlich gesagt, sehnsüchtig machen…), denke ich, dass David Wagner das alles für mich geschrieben hat: Ich bin entschuldigt, brauche nicht nach Berlin zu reisen und darf alles an einem Kölner Brauhaustisch still in mich hineinlesen… – oder in Stuttgarter Hanglage seufzend durchmeditieren: Sonntagmorgen, kurz nach zehn, stehen wir plötzlich auf dem Kurt-Schumacher-Platz. Noch hat niemand die Sonnenschirme vor dem Burger King ausgeklappt… (S. 225)