(Heute, am 7.6.2023, auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)
Was ist eigentlich los? Was sind das für gespenstische Zeiten! Das sogenannte „öffentliche Leben“ hat etwas hochgradig Irritierendes und versetzt einen unaufhörlich in Schrecken. Sobald eine der politisch agierenden Gestalten irgendwo auftritt, wirkt sie überbeansprucht, mitgenommen, den Dingen nicht mehr gewachsen. Robert Habeck hat jede Gelassenheit verloren und steht nervös vor den Mikrophonen, die er früher noch rhetorisch getätschelt hat, und selbst der sich am liebsten harmlos und unauffällig gebende Kanzler wirkt bei seinen Reisen in alle Welt wie ein gehetzter Antichambreur, der in den Nächten von geheim gehaltenen Panikattacken und Katastrophenmeldungen geschüttelt wird.
Ich habe Freunde, die ganz in die militärisch denkenden Sektionen abgewandert sind und mir laufend erklären, welche ukrainischen Gegenoffensiven wo und wann Erfolg haben könnten. Sie lassen den Zeigefinger über Landkarten wandern und tun so, als wären sie vor Ort dabei und hätten den Durchblick. Mühelos können sie mir erklären, wie Hyperschallraketen bei Luftangriffen abgewehrt werden: durch das Flugabwehrraketensystem „Patriot“ mit einer Reichweite von 35 km. Ich danke für die Information, Herr Offizier, ich habe verstanden!
Flieht man wie in älteren Zeiten in kirchliche Räume, werden dort die dicken Akten mit Hunderten von Missbrauchsfällen aufgeschlagen, biegt dann noch Kardinal Woelki irgendwo um die Ecke, schlage ich inzwischen das Kreuzzeichen und bete zum Herrn, dass er ihn wieder zum Kaplan in Ratingen machen und den Papst in Rom endlich zu einer eindeutigeren Haltung gegenüber Gott und der Welt bekehren möge.
Warum ist es so schwer, den Bürgerinnen und Bürgern in Ruhe, mit Verstand und so, dass die Alternativen leicht nachvollziehbar sind, einen neuen Umgang mit Strom, Gas und Heizungen zu erklären? Ist da von monströsen Gebilden die Rede oder von schlichten Versorgungsgeräten? Und ist die in aller Munde herumgereichte „Wärmepumpe“ ein gerissener Vampir, der Luft absaugt, um sie in blutige Energie zu verwandeln?
Es gibt kaum noch Ruhe- und Fluchtzonen, in denen man sich mit gutem Gewissen aufhalten könnte. Ist man mit Kindern oder Jugendlichen unterwegs, packt einen das Entsetzen, wenn man ihren Smartphone-Umgang beobachtet und mit welchen Videos und Nachrichten sie sich stündlich versorgen. Aber warum zeigt dann jedes zweite Bild einer Nachrichtensendung lauter vorbildhaft erscheinende Menschen wie gehorsame Dackel, die von ihren Smartphones Gassi geführt werden? Atmet man danach einen Moment befreiter, um das Ende der Fußballsaison halbwegs entspannt zu erleben, erkennt man Wirtschaftsbosse der Vereine, die brachial an Spielern und Zuschauern vorbei agieren, um mal so richtig auf die Pauke zu hauen.
Das alles hat etwas Entwürdigendes, Mieses. Wo auch immer man hinschaut, hängen die Bilder wie in Loriots Sketchen schief und keiner ist mehr da, um sie auf sympathische und freundliche Art wieder gerade zu hängen. Da war es ein Glück, dass die unzeitgemäße Antennenanlage meines Fernsehens den Dienst einstellte. „Kein Signal oder schlechtes Signal“ meldet sie seit einigen Tagen, „ändern Sie die Geräteeinstellungen!“ Nein, ich werde nichts ändern, sondern keine Nachrichten mehr im Fernsehen verfolgen. Lieber schaue ich Loriots Sketche in neuer Bearbeitung in einer der vielen Mediatheken. In diesen virtuellen Schlafzimmern könnten sich die Ruhepole der Zukunft auf überraschende Weise verbergen, unerwartet und zum Glück ohne KI.