Meine junge Freundin Carla ist eine eifrige Instagram-Nutzerin. Seit einiger Zeit verfolgt sie mich mit dem Projekt, auch einen Instagram-Account zu eröffnen und viele meiner Fotos samt Text zu posten.
Jetzt hat ihr Drängen und Werben zusätzliche, beachtliche Kraft durch das Buch der Tage von Patti Smith erhalten, das der Verlag Kiepenheuer und Witsch (von Brigitte Jakobeit übersetzt) veröffentlichte. Es besteht aus Instagram-Posts eines Jahres, die Patti Smith zu einer Folge aus all den Posts zusammengestellt hat, die sie seit 2018 ins Netz stellte.
Im Vorwort schreibt sie, dass ihre Tochter Jesse sie dazu angestiftet und verleitet habe – und wird danach erkennbar „poetisch“: „Jeder Tag ist kostbar, weil wir noch atmen und uns davon berühren lassen, wie das Licht auf einen hohen Ast fällt, auf einen Arbeitstisch am Morgen oder auf den Grabstein eines verehrten Dichters.“
Wer könnte dabei kalt bleiben und sich verschließen? Habe ich nicht allen Grund, die Tage als kostbar zu erleben, gerade weil ich noch atme? Und weil mir Licht auf hohen Ästen ebenso gefällt wie das Foto eines Arbeitstischs oder das des Grabsteins von, sagen wir, Rainer Maria Dingens?
Das Buch der Tage liest man nicht am Stück, man blättert es immer wieder durch, steigt hier oder da ein, schaut sich einige Fotos an, liest die kurzen Texte dazu und macht sich seine Gedanken. Clara war hinter mir her und fragte alle paar Tage, wann der Instagram-Funke endlich überspringe:
Clara: Na, das gefällt Dir, oder? Das muss Dir doch gefallen! Du bist ein Chronist, einem fetischistischen Chronisten wie Dir gefällt das! – HJO: Mich erstaunt, dass Patti Smith nur selten einmal allein auf einem Foto zu sehen ist! Höchstens in Begleitung, mit Tochter, mit Mutter, mit Vater, mit Freunden – das gefällt mir! – Clara: Hättest Du Hemmungen, Fotos von Dir selbst zu zeigen? – HJO: Überhaupt nicht. Aber ich fotografiere mich selbst nur sehr selten – und fast nur in sehr komischen, kindischen Posen. – Clara: Das lässt ja tief blicken! Du hast einen Foto-Komplex! – HJO: Überhaupt nicht. Ich fotografiere sehr viel und sehr gern. Das Foto ist oft meine erste Annäherung an ein Motiv oder Thema. Noch bevor ich etwas dazu notiere. – Clara: Na also. Das wollen wir lesen. Deine Notate plus Fotos! Ist das zu viel verlangt? HJO: Überhaupt nicht. Ich hätte schon Lust dazu. Vielleicht möchte ich nicht eine Million Follower? Patti Smith ist sehr stolz auf die gewaltige Zahl. – Clara: Würden nur Hunderttausend Dich irritieren? – HJO: Überhaupt nicht. Aber es könnten immer weniger werden. Von Hunderttausend allmählich runter auf Hundert – das würde mich nervös machen. – Clara: Braucht es aber nicht. Du solltest dann nur die Motive häufiger wechseln, ich kann Dir da Tipps geben. Vielleicht denkst Du, Du wärst nicht komisch genug. HJO: Überhaupt nicht. Patti Smith ist auch nur selten komisch, eher erstaunlich ernst, oft fast feierlich, vor allem wenn es um Gedenk- oder Feier- oder Geburtstage geht. – Clara: Was hast Du gegen das Feierliche? Sie nimmt das Leben ernst und erinnert sich an viele Freundinnen und Freunde. Würde Dir das schwer fallen? – HJO: Überhaupt nicht. Das Feierliche muss sein, ich würde es aber reduzieren und manchmal eher ironisch werden. – Clara: Ironie steigt nicht hinab in die Tiefe der Dinge – wer hat das nochmal gesagt? HJO: Na, ich jedenfalls nicht, war das nicht eher der Dingens?