Sommerliche Lektüren 2

Meine liebsten Sommertexte sind in der Anthologie Mein Sommer zu finden, die ich bereits vor einigen Jahren veröffentlicht habe und die nichts von ihrer Schönheit und Aktualität verloren hat.

Die fünfzig Texte aus aller Welt sind „eine Art Sommer-Menu in zehn Gängen“. Zu jedem einzelnen Gang habe ich eine kurze Einleitung geschrieben, die Lust auf die dann folgenden Texte machen soll: Stimmungen des Sommers/ Der Sommer der Kinder/ Fahrten und Wege des Sommers/ Die Tiere des Sommers/ Ländereien des Sommers/ Der Sommer am Meer/ Sommerliebe/Geschichten des Sommers/ Die Speisen des Sommers/ Das Ende des Sommers.

Hier ein Ausschnitt aus den Speisen des Sommers:

Der Sommer hat seine ganz eigenen Getränke und Speisen. Man pflückt sie nebenbei, sie geraten einem leicht in die Hand, die halbe Welt ist voll von Essbarem und Trinkbarem, als stünden überall kleine Teller, Körbe, Schüssel und Schalen. Man nippt hier und dort, man kostet und isst und trinkt nirgends zu viel, sondern immer nur für die weitere, kleine Wegstrecke oder für die Stunden des Aufenthalts an einem ruhigen Platz.

Leicht sollte alles deshalb sein, leicht und zugänglich und rasch zu verzehren, denn im Sommer benötigen wir keine Vorräte und Lager und keine Wegzehrung. Wir trinken bunte, frisch gemixte Sommergetränke, und wir essen Eis, pausenlos essen wir Eis und tragen es tropfend über die Straße und fangen das Tropfen auf mit der Zunge und schlecken die kalten Spitzen und löschen alles mit klarem Wasser.

Und wir gehen auf die Märkte, ja, immer wieder. Auf den Märkten warten die Dinge auf unser Zutun und auf die Küche, aber auch in der Küche sind wir nicht lange, wir tauchen alles in Öl und lassen es zischen, wir kochen nicht ein und wir lassen es niemals schmoren, wir backen und braten nicht, sondern wir geben alles nur für kurze Zeit in goldgelbes Öl und fangen es dann wieder auf, den kurz gesottenen Fisch und einige dünne, sehr dünne Scheiben Fleisch. Und dazu viele Salate und viel Gemüse und natürlich guten Wein, und vor alledem einen Aperitif, der Sommer hat so etwas erfunden, auf den Sommer geht, wahrhaftig, ja, die Erfindung des Aperitifs zurück.

Im Grunde essen und trinken wir, als lebten wir längst in Südfrankreich oder an der bretonischen Küste oder an den Küsten Italiens oder auf den griechischen Inseln. Das nämlich sind die Sommergeographien der sommerlichen Küche, dort, im Mittelmeerraum wurde sie erfunden, und wenn wir den Sommer auch zuhause erleben, so leben wir doch mit unseren Küchen in diesen südlichen Zonen und folgen den Gesetzen des einfachen, auf den sofortigen Verzehr zielenden Kochens.

Deshalb ist das Kochen im Sommer ja solch ein Vergnügen: weil wir es nicht nur in der geschlossenen Küche, sondern auch im Freien erleben können, meist verlagern wir die Küche sogar ganz ins Freie, und während des Kochens sind dann schon die ersten, leichten Getränke zur Hand, Sommersekt, Sommerweine, und dazu kühles Wasser, damit der Mund niemals antrocknet, sondern feucht bleibt, feucht für Sekt und Wein, versteht sich. Und Bier? Ab und zu vielleicht, aber immer nur am frühen Abend und dann höchstens ein Glas, ein Glas Weizenbier oder ein Pils, eiskalt, absolut kalt, dass man den leicht bitteren Gasthausgeschmack nicht allzu sehr spürt, sondern nur die Bitterkeit von Weizen, Gerste und Hopfen, oder jedenfalls die Illusion von alledem.  Besser aber, natürlich, sind Sekt, Prosecco und heller Wein, denn wir schmecken mit diesen Getränken auch etwas von Erde, Himmel und Traube.

Und dann, nach den kleinen Mahlzeiten, natürlich die Beeren und Früchte! Erdbeeren, Stachelbeeren, Johannisbeeren, Kirschen – aber vor allem Himbeeren. Die Himbeeren sind das Beste, sie zergehen langsam, als pelziger Brei, auf der Zunge, ihre kleinen, runden Partikel schieben sich wie Geschmackskugeln zwischen die Zähne, Himbeeren essen wir niemals gekühlt, und Himbeeren waschen wir nicht. Sommerliches Rot, sommerliches Gelächter, das Kinderrot unserer frühen Sommertage – in den Früchten des Sommers ist es wieder da!