Meine liebsten Sommertexte sind in dem Lesebuch Mein Sommer (Dumont Verlag) zu finden, das ich bereits vor einigen Jahren veröffentlicht habe und das nichts von seiner Schönheit verloren hat.
Die fünfzig Texte aus aller Welt sind eine Art Sommer-Menu in zehn Gängen. Zu jedem einzelnen Gang habe ich eine kurze Einleitung geschrieben, die Lust auf die dann folgenden Texte machen soll: Stimmungen des Sommers/ Der Sommer der Kinder/ Fahrten und Wege des Sommers/ Die Tiere des Sommers/ Ländereien des Sommers/ Der Sommer am Meer/ Sommerliebe/Geschichten des Sommers/ Die Speisen des Sommers/ Das Ende des Sommers.
Hier ein Ausschnitt aus den Fahrten und Wegen des Sommers:
Die Sommerwege sind kurz und haben alle ein kleines Geheimnis. Irgendwann, wenn wir von diesem oder jenem zu viel haben, brechen wir auf und lassen uns eine Weile dann treiben. Wir wollen aber nicht weit, sondern wir suchen nur nach einem Platz für unser Lager. Wir radeln und gehen und wandern ein wenig und stehen und lauschen. Ein Bach? Oder was ist das für ein Gesäusel?
Im Wald zieht es uns immer wieder zu einer Kreuzung, und dann fragen wir uns: Stadt, Land oder Fluss? Wir wünschen uns eine kleine Stadt mit roten Toren und Türmchen, einen schmalen Fluss sollte sie haben und bedient sollten wir werden, als wären wir die einzigen Gäste. Oder wir wünschen uns einen richtigen, breiten Fluss, wie er durch Wiesen und Ebenen zieht, da finden wir leicht ein Lager im Freien.
Überhaupt, die sommerlichen Lager im Freien! Wann sonst können wir hier und da unsere Decken aufschlagen und tafeln wie die gut gelaunten Menschen auf den Gemälden der Impressionisten? Immer haben sie die richtigen Sachen dabei, Wein, Sekt, Champagner, das lässt die gute Laune leicht wachsen, und erst dann, wenn alle ausgelassen genug sind, gibt es etwas Kleines zu essen, als winzigen Dämpfer.
Ja, so soll es auch uns gehen, wir wünschen uns ein Frühstück oder ein Picknick im Freien, manchmal haben wir auch Musik dabei, irgendeine Sache für Querflöte und kleines Orchester oder etwas für Saxophon und Schlagzeug, wir müssen erst noch heraus finden, welches Stück zu dem kleinen Raum passt, den wir dann bis zum Abenddämmern bewohnen.
Wohnen im Freien, für einen halben Tag, oder auch für eine Nacht! Wohnen im Zelt, Wohnen auf einer weichen Matte oder einer Decke – und dann zu den Sternen hinauf schauen und etwas erzählen und flüstern und die Gewähr haben, dass ein anderer lauscht und mitmacht und dann auch zu erzählen beginnt.
Und dann natürlich das nächtliche Feuer! Sein Glimmen und Schnaufen, sein allmähliches, gedämpftes Ersticken – wir fachen es alle paar Stunden an und dann springt die Glut auf und tanzt auf der Asche und wird sogar wieder zu einer Flamme, für eine kurze Zeit. Nachts ist das Feuer unsere Mitte, wir liegen rund um es herum, mit den Köpfen nahe der Glut, und dann kommen ein paar wenige Schlafstunden, bis das Morgenleuchten uns die duftende Nacht von der Stirn nimmt.
So sollte es gehen, ein ganzes Leben! Wir sollten Zeit haben und wenig zum Dasein benötigen, nur kleine Dinge, die uns gut tun, ärmlich und karg, aber vollkommen genug, um einen Tag zu erleben. Keine Ideen, keine Pläne, wir sind Diener des Sommers, wir folgen seinen Landschaften, Wegen und Wettern, wir kauern uns hin, wenn er es will, wir schlafen in den Falten seiner Gewänder und werden von ihm getragen von einem Flusslauf zum nächsten.
Und manchmal bleiben wir auch. Wir bleiben auf einem Hof oder Gehöft und streifen tags dann über die abgeernteten Felder oder sitzen unter den großen, Schatten spendenden Bäumen und schauen ins Tal hinab zu den Kühen, die nahe dem Bach lagern, seltsame Tiere mit müden und nur halb erstaunten Blicken, die im Sommer einen Schleier vor Augen haben, einen dünnen, undurchdringlichen Film, durch den sie uns kaum noch wahrnehmen: uns, die Wegelagerer und Debütanten, die überall kurz und zum ersten Mal sein wollen, hoffnungslos neugierig, bis es der Sommer mit uns geschafft hat, und wir endlich atmen in seinen satten, gleichmäßigen Rhythmen.
Dann tragen uns endlich die Räder auf den schwarzblauen Straßen…
(Im Buch folgen dann Texte u.a. von Hermann Lenz, H.C.Artmann, Theodor Fontane, Julius Stettenheim und Ehregott Andreas Christian Wasianski)