Liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs, ich möchte Ihnen meine Mitarbeiterin Hanna vorstellen. Sie organisiert Lesungen, ordnet die eingehende Post, bestellt Bücher, die ich im Blog vorstellen möchte, schlägt welche vor und unterhält sich mit mir über „Themen der Zeit“.
Zuletzt hat ihr das ausführliche Gespräch, das ich mit meinem Lektor Klaus Siblewski über meine Bücher und mein Schreiben geführt habe (in: Ein Kosmos der Schrift) sehr gefallen. „Ich dachte, ich wüsste bereits vieles über Dich und Dein Schreiben“, sagte sie, „doch das war nicht so. Dieses Gespräch hat alles, was ich vorher wusste, noch einmal stark erweitert und verändert.“
Hanna wurde in Köln geboren und hat einen Teil ihrer Kindheit dort verbracht, einige ihrer nächsten Verwandten leben noch immer in der Domstadt. Irgendwann aber ist sie nach Stuttgart gezogen und hat an der HDM, der Hochschule der Medien, studiert.
Vor kurzem haben wir beschlossen, einige unserer Gespräche nicht für uns zu behalten, sondern in diesen Blog zu stellen. Los geht´s!
HB: Die Nachsaison hat begonnen. Was hast Du in der Nachsaison vor?
HJO: Ich würde gern Pilze essen. Wenn ich irgendwo Pilze sehe, schaue ich hin, als hätte ich noch nie welche gesehen. Sie überraschen mich durch ihr Dasein und Aussehen. Sehe ich sie in den Wäldern, bleibe ich stehen und denke darüber nach, ob mir ihr Name einfällt. Das klappt aber meist nicht, ich kenne sie nicht gut genug, deshalb denke ich mir schließlich einen Namen aus und ziehe weiter.
HB: Beruhigen Dich diese erdachten Namen?
HJO: Leider nein. Weil sie so vage sind, tausche ich sie aus und erfinde neue. Daraus besteht dann der Rückweg: einen neuen Namen zu erfinden.
HB: Geht Dir das oft so? Dass Du ersatzweise Namen erfindest?
HJO: Nein, eigentlich nicht. Pilze ziehen diesen Namentausch an, das kommt vielleicht daher, dass selbst vermeintliche Kenner unsicher sind, um welche es sich handelt. Wenn man sich irrt, könnte es gefährlich werden. Viele Pilze sind schließlich giftig, da sollte man sicher sein, wenn man welche verzehrt. Ich habe das früher erlebt, dann hieß es: ‚Es könnte ein Hallimasch sein, vielleicht ist es aber auch ein Pfifferling.‘ Besonders häufig tauchte die Bezeichnung ‚Bovist‘ auf, ‚das ist mit großer Sicherheit ein Bovist.‘ Überall gab es angeblich Boviste, kleine, große, dicke, runde, alle bekamen den Namen ab, sie konnten einem fast leidtun. Boviste galten als nicht essbar. Hatte man sie so benannt, bedeutete das: Weitergehen, sich nicht drum kümmern, sie sollten uns nicht weiter beschäftigen.
HB: Sie taten Dir anscheinend wirklich leid.
HJO: Ich fand sie sehr ausdrucksstark. Runde, dicht auf dem Boden lagernde Kugeln mit einer feinen Außenhaut. Wie Sonden oder geschlossene Planetarien, die sich in Mondnächten einen winzigen Spalt öffnen, etwas Mondlicht hereinlassen und die Hülle sofort wieder schließen.
HB: Das hört sich an wie eine mysteriöse Geschichte. Geheimnisvoll, dunkel, etwas für Naturforscher.
HJO: Vielleicht eher etwas für Pilzgläubige, für Menschen, die Pilze für etwas sehr Fremdes, Eigenes halten und ihnen viel zutrauen, ohne genauer zu wissen, was. Pilze können mit Gift drohen, manche sind Mordaspiranten. Sie sind lange Zeit nicht zu sehen, bleiben verborgen, scheinen für immer verschwunden. Doch jetzt, in der Nachsaison, begegnen sie einem wie seltene Wunder.
HB: Wunder sollte man nicht benennen und sich nicht einbilden, sie erforschen zu können.
HJO: Nein, man sollte sie lange anschauen und ihnen dadurch ihr einzigartiges Doppelleben erhalten.
HB: Ein anwesend-abwesendes Leben.
HJO: Du hast Philosophie studiert, jetzt scheint es durch.
HB: Wunder bringen etwas zum Vorschein, dafür sind sie da.
HJO: Gut, ich werde nicht aufhören, über Pilze nachzudenken.
HB: Und ich werde eine Steinpilzsuppe kochen.
HJO: Mit Steinpilzen kennst Du Dich aus?
HB: Auf alle Fälle! Lassen wir es uns schmecken.