Der Sturz aus dem Schneckenhaus

Die Schriftstellerin Patricia Görg hat sich in ihrer „Lieblingsgegend“ bewegt: Im „Raum zurückhaltender Kunst“. Das glänzend bebilderte Buch besteht aus elf Erzählungen über Bilder oder Bilderfluchten, die keine Erzählungen im Nebentrakt der Kunst, sondern Versuche sind, Bildmotive aus ihrer Erstarrung zu befreien.

Dann entwickeln sie sich zu Geschichten von Figuren, Szenen und Stimmungen. Sie werden den Künstlerinnen und Künstlern gleichsam aus der Hand genommen und literarisch-essayistischen Gedankenflügen zugeführt.

Dieses Geschick entfernt sie von Deutungen, denn Patricia Görg geht es darum, Bilder begriffsfrei wie offene Räume zu lesen, in denen sich eine Erzählerin vorsichtig umschaut und orientiert.

Dabei nähert sie sich der Entstehung der Werke, man erkennt und verfolgt auch solche Prozesse, als sollte man in eine Schule des Materials gehen. Jean Siméon Chardin schafft mit seinem pastosen Farbauftrag eine Intensität, „die jedem durch die Lupe gesehenen Detail den Rang abläuft“. Jean Fautrier zaubert „auf übereinanderliegenden Gipsschichten als Hauch die Seele der Dinge hervor“, und der japanische Farbholzschnitzmeister Hiroshige liefert einen „schwarz-weißen Entwurf auf durchscheinendem Papier“ und wartet auf die Probeabzüge.

Jedes Kapitel sollte man in Ruhe, für sich, zu sich nehmen wie eine starke Inspirationspille des Sehens und später einmal versuchen, sie an weiteren Bildern selbst zu erproben. Ein sehr schönes Buch, das Bilder als Rätsel betrachtet und liest! Unbedingte Empfehlung!

  • Patricia Görg: Der Sturz aus dem Schneckenhaus. Bilder und Rätsel. Schirmer/Mosel 2023