Heute wird in Frankfurt am Main die 75. Buchmesse eröffnet. Über 300 000 Besucherinnen und Besucher werden erwartet, 4200 Aussteller aus 95 Ländern zeigen ihre Bücher und Publikationen.
Gestern Abend ist der Deutsche Buchpreis an den jungen, österreichischen Schriftsteller Tonio Schachinger für seinen Roman Echtzeitalter (Rowohlt Verlag) verliehen worden. Gratulation! Endlich mal nicht die gängigen Themen, endlich mal ein junger Autor, endlich mal ein Schriftsteller aus Österreich! Unbedingt lesen!
Ein Schwerpunkthema dieser Messe ist der Umgang von Verlagen, Autorinnen und Autoren mit der KI.
Stefan Kister, Feuilletonredakteur der Stuttgarter Zeitung, hat mich in meiner Eigenschaft als Professor für Literarisches Schreiben an der Universität Hildesheim, danach befragt, wie wir in der universitären Lehre mit diesen Herausforderungen umgehen. Hier das Interview:
Herr Ortheil, haben Sie schon einmal bei Ihrem Schreiben Chat GPT benutzt?
Nein, noch nie. Ich bin allerdings insofern ein Sonderfall, als ich auch alle anderen Formen des Eingreifens in meine entstehenden Texte nie in Anspruch genommen habe. Bei meinen Studierenden ist das anders. Mit der Digitalisierung einher geht eine enorme Zunahme des Mitredens – vom frühesten Stadium der Textproduktion an, unter den Schreibenden selbst, in Lektoraten, bis hin zu den Marketingabteilungen der Verlage, die das Entstehende auf seine Marktchancen hin prüfen.
Welche Rolle spielt KI an einem Literaturinstitut?
Man kann damit üben, verschiedene Handlungsvarianten entstehender Texte durchspielen, bestimmte Partien probeweise verändern. Ein Programm wie Chat GPT kann Vorschläge machen. Das kann durchaus eine Bereicherung sein – wie ein Lektor, der sagt: Muss Deine Hauptfigur unbedingt in X aufwachsen, sollte es nicht eher Y sein?
Haben Sie keine Angst, dass bei den Arbeiten Ihrer Studierenden eine KI heimlich mitgeschrieben haben könnte?
Nein. Diese Programme jonglieren bereits vorhandenes Datenmaterial hin und her. Bei literarischen Texten merkt man sofort, wenn Partikel auftauchen, die sich algorithmischer Wahrscheinlichkeit verdanken und nicht primärer sinnlicher Erfahrung. Dann werden Dialoge schwach und plappern, der Text tritt auf der Stelle, trocken und unlebendig.
Könnte es aber nicht sein, dass irgendwann ein Roman erscheint, über den sich alle begeistert zeigen, hinter dessen Autor aber ein Algorithmus als eigentlicher Schöpfer auftaucht?
Schon möglich. Doch eine KI tut ja nichts von alleine, sondern setzt nur Befehle um. Je besser sie instruiert wird, desto genauer arbeitet sie. Ich muss ihr immer sagen, an dieser Stelle will ich dieses oder jenes. Auch dann haben wir es mit einem Text zu tun, den letztlich ein Autor aufgrund seiner Anweisungen entworfen hat.
Sie befürchten also nicht Ihre bevorstehende Abschaffung durch die neuen Möglichkeiten?
Wie gesagt, man kann damit üben, wie man an Literaturinstituten schon immer geübt und trainiert hat. Tiefergehende Literatur entsteht jedoch nur aus dem biografischen Feld, in dem Schreibende leben, aus ihrer Herkunft, den Erfahrungen und eigenen Erlebnissen. Dieses komplex Individuelle ist nicht erfassbar. Literatur lebt von unseren Neurosen und Eigenheiten, davon, sich im Chaos zu verlieren und andere Welten kennen zu lernen. Das ist das absolute Gegenteil von den Schemata, mit denen uns eine KI beliefert.