In einem bewusst knapp gehaltenen Text hat Theodor Fontane (1819-1898) allen Schreibwilligen die „Kunst des Erzählens“ auf erfrischend-direkte Weise zu erläutern versucht: „Es wird so viel nach Gesetzen, nach einem Normal-Rezept gesucht, und doch ist die Sache grundeinfach. Im Wesentlichen läuft es auf dasselbe hinaus wie beim Drama, und wer Menschen zu schaffen und diese geschaffenen Menschen in natürliche Beziehungen zu einander zu bringen weiß, der schreibe, der versteht sein Metier. Ganz wie beim Drama: Charaktere und Situationen.“
Durch einen von Iwan Michelangelo d´Aprile jetzt im Aufbau-Verlag herausgegebenen Band (Theodor Fontane. Auf der Suche. Short Stories) kann man nun erfahren und lesen, wie Fontane diese Kunst in kurzen Formen erprobte. Nicht bekannt war aber bisher, dass er als einer der ersten Autoren überhaupt für solche Erzählungen und Geschichten den Begriff der „short story“ benutzte. In einem Brief vom November 1896 an einen jungen Redakteur einer Literaturzeitschrift verwendet er ihn und fügt hinzu, dass solchen „kleinen Geschichten“ die Zukunft gehöre: „Es liegt in der Luft. Das Bedürfnis ist da.“
In der Luft lagen „short stories“ vor allem deshalb, weil sie den Bedürfnissen der Leserinnen und Leser im Eisenbahnzeitalter entgegenkamen. Während einer Zugfahrt konnte eine „kurze Geschichte“ zwischen den Stationen gelesen werden. Sie sollte unterhalten und Figuren in Situationen vorführen, die einen Anlass zum Gespräch boten.
Schlägt man den Aufbau-Band auf, könnte man mit der Erzählung Im Coupé beginnen. Da begegnen sich eine Frau und ein Mann auf der Eisenbahnfahrt nach Köln und…, aber nein, ich überlasse den Leserinnen und Lesern dieses Blogs die Lektüre, ohne mehr zu verraten. Viel Vergnügen!