Joachim Frank, Chefkorrespondent des Kölner Stadt-Anzeigers, hat aus Anlass des Erscheinens meines Buches Von nahen Dingen und Menschen ein Interview mit mir geführt. Gestern ist es in seiner Zeitung erschienen.
Herr Ortheil, viele Ihre Bücher befassen sich mit Ihrem eigenen Leben, auch das neueste mit dem Titel „Von nahen Dingen und Menschen“. Was bleibt für Sie von den Jahren 2018 bis 2023?
Das ist genau die leitende Frage meines Buchs. Ich habe jeden Tag frühmorgens ein Erlebnis festgehalten, das mich besonders berührt hat. Das konnten Ereignisse in Politik, Kultur, Sport sein, aber auch ganz private Erfahrungen. Diese Geschehnisse habe ich aus dem Zeitstrom herausgenommen und darauf abgeklopft, was davon über den Tag und mich selbst hinausweist und mit den Lebensformen der Menschen zu tun hat. Daraus entsteht keine der üblichen zeitgeschichtlichen Chroniken, die ein Ereignis ans nächste reihen, sondern eine subjektiv verdichtete Erzählform, eine kleine Philosophie der Nähe.
Wie ist in der Zusammenschau Ihr Gefühl für die vergangenen fünf Jahre?
Es war die Phase der stärksten Umbrüche in den letzten Jahrzehnten, weil es so viele Katastrophen gab, die ein neues Denken und Wahrnehmen hervorgebracht haben: der Klimawandel, die Pandemie, die Kriege – das alles hat den Individuen und der Gesellschaft sehr viel zugemutet und tut es noch. Wie gehen die Menschen damit um? Wie reagieren sie darauf? Das zu beschreiben war mir wichtig, und zwar nicht nur aus der eigenen Perspektive, sondern auch aus der Sicht von Freunden. Die Gespräche im Freundeskreis sind sehr intensiv in meine Aufzeichnungen eingeflossen.
Viele dieser Texte haben wir im „Kölner Stadt-Anzeiger“ als Kolumnen veröffentlicht. Was macht für Sie den besonderen Reiz dieses Genres aus?
Dass ich beim Schreiben nicht nur an mich denken muss, sondern immer auch an die Leserinnen und Leser. Kolumnen sind Übersetzungen in beide Richtungen: Ich schreibe für viele auf, was ich erlebe, und ich bringe Erlebnisse von vielen in eine sprachliche Form. Die Kolumne ist deshalb hoch interessant, weil sie kein isoliertes Schriftsteller-Genre ist wie etwa ein Tagebuch oder private Notizen, sondern ein soziales Genre. Es wendet sich von vornherein an die Öffentlichkeit und diskutiert Themen der Öffentlichkeit mit. Das ist sehr spannend. Es gibt inzwischen viele Beispiele für Kolumnen-Sammlungen in Zeitungen und Zeitschriften, die sich nicht nur mit der reinen Aktualität beschäftigen wollen. In Deutschland haben Kolumnen und Kolumnen-Sammlungen gerade Konjunktur. Bei lateinamerikanischen oder italienischen Autoren sind sie immer gängig gewesen. Hinzu kommt: Die Kolumne eröffnet ein Diskussionsforum. Auch das gefällt mir an ihr.
Die Kölner Premierenlesung aus meinem neuen Buch findet am Dienstag, 20.2.2024, 19 Uhr im Studio Dumont, Breite Straße 72, statt. Anscheinend gab es Probleme mit der elektronischen Kartenreservierung, die sind jetzt aber behoben. Karten gibt es hier: