(Am 28.02.2024 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)
Den Fußballtrainer Thomas Tuchel kenne ich schon seit den Jahren, als er den FSV Mainz 05 trainierte. Dort hatte er den Spitznamen „Savonarola“, weil er als streng und als ein kritischer Geist galt, der gegen „Die da oben“ mit allen offenen und versteckten Mitteln opponierte. Daneben hielt man ihn für einen nachdenklichen und taktisch hochversierten Fußballer, der wohl auch anspruchsvolle Fächer wie Mathematik hätte studieren können. Das studierte er zwar nicht, wohl aber Anglistik und für die finanzielle Zukunft BWL, natürlich mit Auszeichnung.
Dass er aus Krumbach und damit aus Bayern stammt und in den ersten Jahren seines Spieler- und Trainerlebens vor allem dort und im Schwabenland aktiv war, erinnert heute kaum noch jemand. Tuchel war ein geschätzter Abwehrspieler, der seinen Mannschaften als Trainer beibrachte, hinten alles dicht zu machen und vorne aufreizend aktiv zu stürmen. Damit hatte er in Frankreich und England bei Spitzenmannschaften jedes Mal gemischten Erfolg. Oft ging die Zusammenarbeit auseinander, weil Tuchel wieder mal zu sehr den Savonarola gegen die Obrigkeit gegeben oder seine Spieler derart herausgefordert hatte, dass sie nicht mehr nach seinem Willen laufen und spielen wollten.
Diesen, wie man so sagt, schwierigen, aber ambitionierten Menschen, der wahrscheinlich auch nach dem Gewinn des Weltpokals nur kurz in sich hinein räuspern und das nächste Spiel ins Auge fassen würde, hat der FC Bayern nun vor einiger Zeit zu seinem hoch bezahlen Cheftrainer gemacht. Seither liefen in Mainz die Wetten, wann es zum „Zerwürfnis“ mit dem Verein kommen würde. Die Mannschaft tat den Mainzer Auguren den Gefallen und verlor ein Spiel nach dem andern. Tuchel räusperte sich, fasste das nächste Spiel ins Auge und gab bekannt, dass er weiter intensiv über die Mannschaft nachdenke.
Dann aber wurde es „Denen da oben“ zu viel. Tuchel wurde jedoch nicht entlassen, sondern die Causa so behandelt, wie es Tuchel selbst nicht besser hätte inszenieren können. Weiter als Cheftrainer im Amt soll er im Sommer einem noch zu findenden Nachfolger Platz machen. Die Mainzer Auguren hat diese in Deutschland ausgesprochen rare Wendung der Trainerfrage wieder auf den Plan gerufen. Was wird geschehen, wenn Tuchel ab sofort jedes Spiel mit seiner Mannschaft gewinnt und wider alles Erwarten den Meistertitel oder sogar den Champions-League-Titel holt? Gute Frage. Würde die ewige Causa in so einem Fall noch um eine weitere Pointe reicher, etwa dadurch, dass Thomas Tuchel sein eigener Nachfolger würde?
Menschen, die nie auf einem Platz gestanden und erst recht nicht in der Abwehr einer Mannschaft gedient haben, ahnen nicht, welche geheimen Ränke dort zirkulieren. Die Spieler können den Trainer und seine guten Absichten komplett ignorieren, ins Leere agieren oder am Seitenaus verhungern lassen. Thomas Tuchel hat auf ästhetisch anspruchsvolle Weise gezeigt, wie er in solchen Fällen leidet. Er vergräbt das Gesicht in den Händen, starrt abwesend in den Himmel und räuspert sich hinterher so grübelnd, dass kein Reporter mehr ahnt, wovon er gerade spricht.
Die Mainzer Auguren wissen, wie wenig beredt er sich lange in seine berüchtigten Nachtgedanken zurückziehen kann. Darin ziehen Scharen von empörten Taktikern durch Savonarolas Florenz, prangern die Eitelkeiten der Spieler und ihr Imponiergehabe an, vermeiden jeden Tropfen Alkohol und leeren auch nach Mitternacht nur Flaschen mit stillem Wasser. Hauptsache, sie sind sich treu geblieben.
(In seiner Trainerzeit bei Mainz 05 hat Thomas Tuchel auch die Jugendmannschaft des Vereins trainiert, mit der A-Jugend wurde er 2009 sogar Deutscher Meister.
Seither hat Mainz 05 ein Nachwuchsleistungszentrum für seine Jugendmannschaften aufgebaut, das in Deutschland vorbildlich ist. Durch meinen Mainzer Freundeskreis erhalte ich regelmäßig Nachrichten darüber, wie dort gespielt und trainiert wird.
Luca Lomasto ist gegenwärtig der Trainer der U9. Er hat seine erfolgreiche Mannschaft nach dem Gewinn eines Pokals fotografiert.)