Noch immer (und wie viele Jahre schon?!) schaue ich mir manchmal kurze Ausschnitte des Alpenpanoramas (auf 3sat) an. Die Webcams fangen Blicke aus Höhenlagen auf die Berge ein – seit einiger Zeit machen sie das aber auch mit Städten.
Dieses Sehen betrachte ich als eine sensorische Übung. Einen Raum erfassen, seine landschaftliche oder städtische Komposition erkunden, überlegen, wie man sie in einen Text verwandeln könnte. Wo würde man anfangen, wie und von wo würde die innere Kamera den Raum für den Text öffnen?
Man sieht nun auch Berlin, Frankfurt oder Hamburg von oben – und kurz danach kommt der große Augenblick: Die Kuppel der römischen Peterskirche ist zu sehen, meist sonnenbetucht, von der Seite, eine ästhetisch stolze, aber nicht überhebliche Erscheinung, die alles übertrifft, was man vorher oder danach zu sehen bekommt.
Sie wirkt wie ein raumgreifendes Leuchten, das sich aus der Tiefe erhoben und dort befreit hat, nahe an pflanzlichen Gebilden. Die Webcam hält sie ein paar Sekunden fest und wandert dann hinüber zu den benachbarten Höhen des Gianicolo.
Jedes Mal ist sofort die Lust da, darüber zu schreiben, nicht kunstgeschichtlich, sondern über den Eindruck und das Erlebnis. Vorher würde ich aber kurz in die kunstgeschichtliche Klause bei Horst Bredekamp gehen, der in der Kleinen kulturwissenschaftlichen Bibliothek des Wagenbach Verlags ein schmales Buch (Sankt Peter und das Prinzip der produktiven Zerstörung) veröffentlicht hat, dessen Erläuterungen mir fürs Erste genügen würden, bevor ich mich an die literarische Vergegenwärtigung des starken Sehens machen würde.
Wenn diese Impulse verbraucht wären, könnte ich eine Doku auf Arte folgen lassen, die von den drei großen Meistern Leonardo, Raffael und Michelangelo erzählt, die 1513 einige Zeit gleichzeitig in Rom waren, wo jeder für sich darüber nachdachte, wie Sankt Peter zu entwerfen und zu bauen wäre.
https://www.arte.tv/de/videos/108482-000-A/die-meister-von-rom/
Im Grunde, denke ich manchmal, könnte das Leben vor allem daraus bestehen: solche einzigartigen Werke und Gebilde zu sehen, zu vergegenwärtigen und mit ihnen „im Geiste“ weiterzuleben.