Die Eiche von Paffrath ist über vierhundert Jahre alt. Sie steht im Westerwald in der Nähe meines Elternhauses und ist ein mächtiger Baum, der mein ganzes bisheriges Leben begleitet hat. Mehrere Wege führen über die nahen Felder zu ihr, sie markiert eine Wegkreuzung in der Nähe des Hofes und des Gehöftes von Paffrath, auf dem Pferde gehalten werden.
Als Kind habe ich die Eiche oft umkreist, sie war dick und stark wie ein Monument, so dass man sich viele Geschichten von ihrem früheren Leben erzählte. Manchmal kletterte ich auch auf eine ihrer weitausschwingenden Äste und saß scheu, aber glücklich in der Höhe. Der Blick ging in die Weite der westerwäldischen Landschaft, zu den Wiesen, Kornfeldern und Wäldern, aber auch in die Tiefe, an dem sich ausruhenden, dunklen Stamm entlang. Während vieler Jahrzehnte ließ er sich nichts anmerken, sondern stand stoisch und unveränderlich an der Gabelung dreier Straßen.
Dann aber wurde er von Blitzschlägen mehrmals getroffen. Der Stamm riss auf und zeigte schwere Verwundungen, die Rinde wurde an vielen Stellen porös, kurz davor, den Stamm zu entkleiden. Die Eiche von Paffrath hatte schweren Schaden genommen, schlug jedoch weiter aus, und wenn man sie im Sommer aufsuchte und unter ihr einige Minuten verweilte, mobilisierte sie ein grünes Blattwerk, das hoffen ließ.
Vor kurzem aber erhielten die zuständigen Naturbehörden Klarheit über ihren wahren Zustand. Bakterien hatten die Wurzeln befallen, der Baum ist nicht mehr zu retten und wird bald gefällt. Vielleicht erinnert ein übrigbleibender Stumpf an seine frühere Pracht, vielleicht aber auch ein Ableger, der wohlwollend „der junge Riese“ genannt wird. Im Herbst will man ihn an die Paffrather Weggabelung pflanzen, und er wird die schwere Aufgabe übernehmen, die nächsten Jahrhunderte zu überstehen.
Davon werde ich in meinem fortgeschrittenen Alter nur noch wenig mitbekommen. Ich nehme Abschied von einem Baum, den ich immer als ein nahes Lebewesen geliebt und geschätzt habe. Die Vorstellung, dass er nicht mehr da sein wird, stimmt wehmütig, und das Bild der Leere und Unbehaustheit, das er hinterlassen wird, mag ich mir nicht ausmalen. Die alte Eiche von Paffrath erlebt jetzt ihre letzten Stunden. Es ist, als würde ein Teil von mir mit verschwinden.