Foto Paul Auster: Copyright Spencer Ostrander
Gestern Morgen rief mich ein Freund an und teilte mir mit, dass Paul Auster gestorben ist. Er ist 77 Jahre alt geworden und war vor einigen Jahren an Lungenkrebs erkrankt.
Wir sprachen darüber, was wir von ihm so alles gelesen hatten, an welche Bücher wir uns erinnerten und dann auch darüber, welche Bücher wir bald wieder lesen würden. Unbedingt. Bald. Am besten sofort.
Es war eine seltsame Unterhaltung, denn wir waren beide sehr bedrückt, gaben es aber nicht zu. Wir redeten wie Journalisten, die einen Nachruf schreiben sollten, ohne dass sie viele Informationen für eine so anspruchsvolle Textsorte im Kopf gehabt hätten. „Paul Auster“ erschien wie eine große, dunkle Wolke, die sich über unseren Köpfen gewittergleich hin und her bewegte. Sein Tod hatte etwas Bedrohliches, vielleicht auch deshalb, weil wir beide, mein Freund und ich, älter als siebzig Jahre sind und uns Auster schon vom Alter her nahe fühlten.
Er hatte unser Leben begleitet, wie ein in weiter Ferne lebender, aber guter Bekannter, dessen Leben man laufend verfolgt, während man sich Gedanken darüber macht, wie es ihm gerade geht, was er noch vorhaben könnte und welche Themen er mit einem teilt.
So lebten auch wir ein wenig in Brooklyn/New York, wo Auster zuletzt lange Zeit gelebt hatte. Wir kannten seine Umgebung aus einigen Filmen, an denen er mitgearbeitet hatte (Smoke/Lulu on the Bridge), und wir wussten, wofür er sich mit ziemlicher Leidenschaft begeisterte (Französische Dichtung/ Beckett/ Baseball/ Joe Brainard).
Die persönlichsten Informationen erhielten wir aus seinen Notizbüchern, Journalen, Essays oder aus den Gesprächsbänden ( Das rote Notizbuch/Winter Journal/Ein Leben in Worten/Mit Fremden sprechen). Die Notate schrieb er immer mit der Hand und tippte sie später mit einer alten Olympia-Reiseschreibmaschine aus dem Jahr 1974 ab.
Die tiefersitzende Nähe rührte aber wohl daher, dass wir ihn ein Leben lang für einen jungen Mann hielten, der sich in seinen Büchern „treu“ blieb und Stoffe umkreiste, die zum Teil auch unsere eigenen waren. Wir mussten seine Bücher nicht alle lesen, wir glaubten sie zu kennen oder zu ahnen, was er erzählen wollte. Es war, als wären mit ihm durch einige parapsychologische Tricks verbunden, ja, so fühlte es sich an.
Daran, dass er wirklich sterben würde, hatten wir nicht recht geglaubt. Wir dachten, die Götter und Göttinnen der Schrift würden das nicht zulassen. Vielleicht fürchteten wir auch, früher als er zu sterben, dann hätten wir uns keine weiteren Gedanken machen müssen.
„War wohl nix“, sagte mein Freund am Ende unseres Gesprächs. „Nee“, sagte ich, „das Leben geht noch ein wenig weiter.“