(Am 16.5.2024 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)
Dieses Jahr ist auf dem besten Weg, ein ereignisstarkes Fußballjahr zu werden. Die deutschen Vereinsmannschaften beeindrucken in den europäischen Wettbewerben, und die Nationalmannschaft könnte es ihnen während der Europameisterschaft nachtun. Vieles hat sich, wie man so sagt, „zum Besseren gewendet“. Immerhin. Vieles ist aber auch stehengeblieben und ärgert.
Wie etwa die Live-Übertragungen im Fernsehen, denen eine lebendige, originelle Sprache fast abhandengekommen ist. Stattdessen wimmelt es jetzt von scheinbaren Fachbegriffen und Phrasen, die in ihrer Häufigkeit steril, penetrant und lächerlich wirken. Da präsentieren sich Abwehrfronten laufend in wechselnden Dreier- oder Vierer-Formationen, nach dem besten Sechser oder Achter wird panisch gesucht, gegen und mit dem Ball wird laufend „gearbeitet“, das „Umschaltspiel“ hängt durch, denn eine Mannschaft zeigt mal wieder zu wenig „Charakter“ und ist nicht „mit breiter Brust“ unterwegs, sondern auf hartnäckiger Suche „nach dem Momentum“.
Live mögen Reportern schon einmal solche Floskeln unterlaufen. Wenn dieser dürre Slang aber von sogenannten „Experten“ im Nachspann erneut durchgeknetet wird, ist es unerträglich. Da stehen sie zu dritt oder viert als leblose Truppe an der Seitenauslinie und reden, dass es einen erbarmt. Haben sie wirklich genau hingeschaut oder jeden Spielzug bereits als „Ausübung“ eines Angestelltendaseins verstanden, das jedem Spieler etwas „aufgibt“ oder „abnötigt“? In solchen Fällen muss eine Mannschaft anscheinend ein „großes Herz beweisen“ oder gar eine Halbzeit lang „leiden“, während die Fans „Qualen erdulden“ oder „die Treue aufkündigen“.
Kein Wunder, dass erschöpfte Trainer und Spieler solche Plattheiten nach dem Ende einer Partie fast regungslos wiederholen. Der Kopf ist leer, nix geht mehr, das ist gerade noch verständlich, nicht jeder ist schließlich ein Thomas Müller, der bekanntlich schon während des Spiels mit dem „Schalk im Nacken“ kommuniziert.
Schön wäre es, wenn wenigstens die Fans einmal von ihrer großen Leidenschaft erzählen würden, die viele von ihnen Woche für Woche weite Distanzen zurücklegen lässt. „Fußball ist unser Leben“ hieß einmal ein Lied, das die deutsche Nationalmannschaft in den siebziger Jahren unter Leitung von Startenor Franz Beckenbauer auswendig sang. Das war munter, aber auch ernst gedacht und gilt noch immer, trotz Klimawandel. Was es aber genau meint und Menschen abverlangt, die einen Verein ihres Umfelds als Inbegriff ihrer intimsten Identitätsbildung verstehen, das erfährt man nirgends.
Fußball kommt also nur noch als spracharme Liveübertragung oder im ödesten aller Formate, im Liveticker, vor. Als ein Sport, der wie kaum ein anderer viele Menschen verbinden und von Hamburg noch München und zurück locken kann, gibt es ihn nicht. Geschweige denn als ein Leben, das am Wochenende nach einem Spiel beginnt und eine harte, lange Woche dauert, bis die eigene Mannschaft wieder auf einem Platz erscheint.
Nur alle paar Jahre sträuben sich einige Trainer und Spieler gegen die landesübliche Belanglosigkeit des Redens. So etwa Christian Streich, der Trainer des SC Freiburg, der nach vielen Trainerjahren auf seiner Abschiedstournee durch die deutschen Stadien ist. In Köln sprach er am Ende der Pressekonferenz vor ein paar Tagen zu den Fans des FC und zur ganzen Stadt: „Es war jedes Mal ein besonderes Erlebnis in dem Stadion und in dieser Stadt, die ich sehr schätze aufgrund ihrer Vielfalt, aufgrund dessen, dass da einfach die Menschen gut leben können, egal, wie sie orientiert sind oder wie sie sich bewegen. Ich bin wahnsinnig gern hier. Und jetzt ist erstmal das letzte Mal. Es war schön. Ich bedanke mich beim 1. FC Köln…“
Das waren ganz wunderbare Sätze, die wohl nicht nur Einheimische sehr bewegen und zugleich auch anstiften, die ewigen Nörgeleien über Köln einmal für ein Atemholen zu vergessen. Aber auch dazu, sich bei Christian Streich zu bedanken, der das gute Reden über Fußball sein ganzes Trainerleben lang nie verlernt hat.