Das Sommerinterview 3 – Die Tetralogie der Nähe

 

Hanna: Guten Morgen, machen wir weiter! Du hast Dein öffentliches Schreiben zuletzt um Instagram-Posts erweitert. Die Blogeinträge sind etwas anderes, die setzt Du auch fort. Wie lange noch? Hast Du darüber nachgedacht?

 HJO: Vorerst bis zum zweitausendsten Eintrag. Dann überlege ich grundsätzlich, ob ich weitermache oder ob man den Modus ändert. Viele Freunde schlagen zum Beispiel vor, eine Paywall zu installieren. Dann müssen die Nutzer regelmäßig einen kleinen Beitrag zahlen, wenn sie den Blog weiter lesen wollen.

Hanna: Finde ich nicht so gut, ich bin für freiwillige Zahlungen! Die laufenden Kosten für den Blog sind recht hoch, das weiß ich, aber man sollte sie nicht auf die Leserinnen und Leser abwälzen. Zwang ist immer schlecht.

 HJO: Begegnet aber vielleicht dem Übel des gesichtslosen, stummen Dauerlesens ohne jede Reaktion.

Hanna: Daran hast Du Dich doch längst gewöhnt. Wie auch immer, denke bitte nochmal drüber nach. Machen wir mit Deinen Büchern und dem Lebensprogramm des „Kosmos der Schrift“ weiter.

Alle Deine Bücher ergeben nach und nach ein weites Panorama, sie gehören eng zusammen, jedes entwirft und fixiert bestimmte Momente und Zeiten Deines Lebens. Wenn man das nicht erkennt und weiß, weiß man im Grunde nur wenig über Dein Schreiben. Man stolpert höchstens von Buch zu Buch. Alle Rezensenten tun das übrigens, ich kenne niemanden, der das Kosmos-Projekt je erwähnt oder gar gedeutet hätte.

 HJO: Stimmt, ich kenne auch niemanden. Zwei Literaturwissenschaftler bereiten zurzeit ein Buch der „edition text-kritik“ über meine Bücher vor, vielleicht liest man dort zum ersten Mal etwas darüber. Es soll 2026 erscheinen.

 Hanna:  Und was wirst Du selbst als nächstes veröffentlichen?

 HJO: Gehen wir kurz etwas zurück. Das Jahr 2019 war für mich ein sehr einschneidendes, prägendes Jahr. Ich habe eine Herzoperation überstanden, die mich fast das Leben gekostet hätte. Danach habe ich wieder klein angefangen. Ich habe mehrere Bücher über meine nächsten Dinge und Lebenszeichen geschrieben, angefangen mit dem Buch In meinen Gärten und Wäldern, das ich übrigens besonders mag. Es ist ein Buch der lebenserhaltenden Zuwendung, mit kurzen, pointierten Texten über Blumen, Sträucher, Bäume.

Danach habe ich in einem, wie man so sagt, autofiktionalen Roman (Ombra) von der Herzoperation mit all ihren Seitenwegen und Themen erzählt. Dieses Buch musste ich schreiben, schon allein deshalb, um mich von vielen dunklen Gedanken zu lösen oder gar zu befreien.

Hanna: Ist so etwas möglich? Befreit das Schreiben?

HJO: Nicht wirklich, aber zumindest vermittelt es die Illusion einer Befreiung. Es verschafft Luft, um an etwas Neues zu denken. Es wirkt befreiend, könnte man altklug sagen. Befreiend, ohne zu befreien.

Hanna: Ich möchte das nicht mir Dir vertiefen, das fällt mir schwer. Gehen wir lieber ein paar befreiende Schritte weiter.

HJO: Man könnte die Fortsetzung meines Schreibens fast als eine eigene Geschichte erzählen. Denn nach Ombra habe ich von den mir nächsten Bereichen meines Lebens erzählt, indem ich mich an eine Poetik der Nähe hielt. Charaktere in meiner Nähe, Kunstmomente und Von nahen Dingen und Menschen sind die Titel der Bücher, die das versuchen.

Hanna: Auch über diese sehr offensichtlichen Zusammenhänge habe ich nirgends etwas gelesen. In keiner Rezension, einfach nirgends. 

HJO: Es ist das alte Lied. Die Kritik starrt nur auf das einzelne Werk.

Hanna: Ich weiß, dass Du in den letzten vier Jahren ein großes Buch geschrieben hast. Wollen wir davon sprechen und verraten, um was es geht?

HJO: Ja, ich habe die Arbeit an diesem neuen Buch vor kurzem beendet. Es ist kein Roman, sondern die Darstellung meiner über dreißigjährigen Lehre in den Bereichen des Literarischen und Kreativen Schreibens an der Universität Hildesheim. Das neue Buch wird Nach allen Regeln der Kunst. Schreiben lernen und lehren heißen und im November 2024 im Insel-Verlag erscheinen. Darin habe ich alles festgehalten, was ich zum Lernen und Lehren zu sagen habe. Es ist ein umfassendes Buch geworden, ich bin stolz auf dieses Buch und fast gerührt, wenn ich an die lange Arbeit denke – sage ich jetzt mal. Hoppla. Sorry.

Hanna: Lass uns eine Pause machen. 

https://www.suhrkamp.de/buch/hanns-josef-ortheil-nach-allen-regeln-der-kunst-t-9783458644224