Das Herbstinterview 1 – Was in der Auszeit passiert ist

Hanna: Deine kurze Auszeit ist vorbei, und es gibt einige Veränderungen. Zum Beispiel die, dass Du die Instagram-Posts beendet hast. Warum?

HJO: Ganz einfach, ich hatte verstanden, was ich damit verbinde: Ein Foto vom Tage, eine Bildunterschrift – die Spannung zwischen Bild und Text war das Interessante. Die Verweise, die Querverbindungen, das manchmal vielleicht Rätselhafte. So etwas zu gestalten, hat eine Weile Spaß gemacht, lässt sich aber nicht unbegrenzt fortsetzen. Es nutzt sich ab. Als ich das spürte, habe ich sofort aufgehört. Mal sehen, vielleicht steige ich irgendwann wieder für eine erneute Testphase mit anderen selbst gewählten Vorgaben ein. Instagram auf ergebene Weise bedienen werde ich jedenfalls nicht, ich möchte das Format mit eigenen, literarischen Perspektiven gestalten.

Hanna: Die Darstellung der Lebenswelten, von der Du gesprochen hast, war für mich trotz aller Rätselhaftigkeit mancher Posts und Texte dennoch gut zu erkennen. Ich habe den Westerwald, Köln, Mainz und Stuttgart gesehen, aber auch Wuppertal – alles Landschaften und Städte, in denen Du lebst oder früher einmal gelebt hast.

HJO: Ja, und es sind Räume, zu denen ich mich nach wie vor stark hingezogen fühle. Wenn ich eine Weile nicht da war, möchte ich wieder hin und mich dort umschauen.

Hanna: Dass Wuppertal dazu gehört, wusste ich bisher nicht.

HJO: Wuppertal gehört unbedingt dazu. Ich bin dort in die Volksschule und ein paar Jahre aufs Gymnasium gegangen und habe noch viele Freundinnen und Freunde aus sehr alten Tagen.

Hanna: Plötzlich tauchte in den Posts das Video einer Schwebebahnfahrt auf. Bist Du als Kind häufig mit der Schwebebahn gefahren?

HJO: Alle paar Tage! Eine Zeitlang war die Schwebebahn für mich das große Wuppertal-Ereignis! Fahren von Endstation zu Endstation, von Vohwinkel bis Oberbarmen – das war und ist einfach nur herrlich! Alle Widerstände sind beseitigt, die Bahnen halten nur auf den Bahnhöfen, in einem ganz regelmäßigen Minutentakt. Keine Sperrungen, keine Umwege, keine Staus – ein ruhiger Fluss des Sehens, ein Flug, meistens über der Wupper, die sich in ein manierliches, sauberes Gewässer verwandelt hat. In meinen Kindertagen stank sie fürchterlich, und die Abwässer aus den Chemiebetrieben hatten sie rot, blau und grün gefärbt.

Hanna: Haben Dich die kurzen Kommentare von Leserinnen und Lesern zu Deinen Posts irritiert?

HJO: Nein, überhaupt nicht. Sie hatten ja genau den Touch, den man mit den sozialen Medien verbindet: Hallo, gefällt mir/gefällt mir nicht, und: Ich bin auch noch da! Klickklack – man grüßt und wendet sich dem nächsten Fluxus am Horizont zu. Genau das ist ja „das Soziale“ daran, das Mitmachen, die Meldung, das Lebenszeichen! Ich empfinde es als harmlos, es bleibt nicht in Erinnerung, weil es sich eben nicht um lange durchdachte oder bewusster angelegte Texte handelt. Es sind typische Reflexe, und mehr wollen sie ja auch gar nicht sein.

Hanna: Ich weiß, dass Du täglich fotografierst, nur für Dich, ohne die Fotos zu teilen. Im Fall der Instagram-Fotos war das nun anders. Hat das die Auswahl der Fotografien beeinflusst?

HJO: Ja, hat es. Ich habe aus den täglich gemachten Fotos eines ausgewählt, das einen dazu gehörenden Text murmelte. Ich schaute auf das Foto und hörte oder dachte den Text. Das ging zusammen, schnell, wie ein Blitz. Ich habe nicht nach dem Text gesucht oder mir lange Gedanken gemacht. Ich schaute ein Foto an, und im selben Moment regte sich der Text. Das Gehirn hatte also auf ein Foto-Text-Verfahren umgeschaltet, angeregt dadurch, dass ich das Foto versenden wollte. Das Versenden aktivierte einen sprachlichen Raum, denn die gesendeten Fotos gehörten nicht mehr nur mir und dem bisherigen Schweigen, sondern wurden in den sozialen Raum getaucht. Und in der Tiefe dieses Raums meldeten sich sprachliche Fetzen.

Hanna: Das Instagram-Hirn war aktiv, und in Deinem Fall zog es Textformen an, die auf das Foto reagierten.

HJO: Ich sollte einen neurobiologischen Aufsatz schreiben: Das Instagram-Hirn als Fluxus-Content.

Hanna: Leg mal los, diktiere die ersten Sätze, ich mache mit.