Die Gastronomie leidet

(Am 12.10.2024 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“)

„Die Gastronomie leidet“ ist ein Satz, den ich fast täglich von meinen Freunden zu hören bekomme. Einige Restaurants haben geschlossen, andere öffnen mittags nicht mehr, es fehlt an Personal, und manche Eigentümer haben in letzter Zeit viel von ihrer Unbekümmertheit und ihrem Schwung verloren. Seit den Coronatagen, die in vielen politisierenden Runden kaum noch erwähnt und deren harte Auflagen nachträglich nicht genauer auf ihren Sinn und die Folgen überprüft werden, ist der starke Einschnitt unübersehbar und überall zu spüren.

In vielen Lokalen hat sich eine Lähmung breitgemacht, die durch die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes auf 19 % noch gesteigert wurde. In anderen europäischen Ländern wie etwa in Frankreich, Österreich, der Schweiz oder Italien hat es das nicht gegeben, dort liegt der Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie noch bei sieben, acht oder höchstens zehn Prozent. Anscheinend hat man dort rechtzeitig erkannt, dass Gastronomie mehr ist als eine Versorgungsinstitution für bloßes Essen und Trinken.

Sie prägt die Lebenskultur eines Landes und bringt Besucher und Einheimische im besten Fall zu gemeinsamen Mahlzeiten auf lustbetonte Weise zusammen. Das schafft so schnell niemand sonst, die Gastronomie ist das ideale Medium für Offenheit, Integration und Selbstdarstellung eines Landes, das seine Gäste mit weit ausgebreiteten Armen empfängt und bewirtet.

In den Vorcoronazeiten hatte sie sich in Deutschland, wo es lange genug dauerte, bis viele ihre Vorzüge und Schönheiten erkannten, eine gewisse Achtung verschafft. Mittags oder abends für die Dauer einer Mahlzeit auszugehen, war Teil eines Lebensgefühls geworden, das nicht mehr Arbeit und nochmal Arbeit in den Vordergrund rückte, sondern sich an den freieren und umgänglicheren Lebensformen anderer Länder orientierte.

Genau diese Neuorientierung droht jetzt dramatisch verloren zu gehen, und als wäre das noch nicht genug, wurden meine Freunde durch medizinische Untersuchungen überrascht, die selbst einen geringen Alkoholkonsum als hochgefährlich klassifizieren. Das berühmte Glas Rotwein am Abend, die zwei Gläser Kölsch – besser wäre es, ganz darauf zu verzichten, so das Resumé dieser Untersuchungen. Noch vor einiger Zeit hörte sich das anders an, und maßvolles Trinken galt als erlaubter Genuss.

Was ist nun damit? Genuss ist zu einem Fremdwort geworden, und es drohen magere, weinferne Zeiten, in denen man von einem geschlossenen Lokal zum nächsten hastet, um sich endlich in einem Büdchen das noch erlaubte Glas stilles Wasser zu gönnen.

Meine Freunde erinnern sich gut an einen Großmeister der Genussemphase. Er hieß Alfred Biolek und ließ ein gutes Glas Wein bei keiner von seinen Freunden und ihm selbst zelebrierten Mahlzeit aus. „Alfredissimo“ hießen die Sendungen, in denen er kochte und begeistert Wein einschenkte. Bedenken gegen diesen Genuss machte er mit seinen hieb- und stichfesten Untersuchungen am eigenen Körper zunichte. Sie analysierten den Auf- und Abmarsch der sogenannten Glückshormone, kleineren Ablegern von Lusthormonen, die bereits beim bloßen Anblick eines gut gefüllten und leicht beschlagenen Glases Weißwein zu vibrieren anfangen.

Die Biolek-Gleichung lautet (in etwa): 0, 25 Liter Wein aktiviert mindestens drei Glückshormone und löst einen Freudenschauer aus Serotonin, Dopamin und Oxytonin aus, der in der Regel eine halbe Stunde lang anhält und rhetorische Finessen freisetzt, wie sie keinem Genießer im alkoholfernen Zustand beschert werden. In den Karnevalstagen sollen sie sich auf gesteigertem Niveau entfalten. Meine Freunde warten nun sehnsüchtig auf nobelpreiswürdige Analysen mit kölschen Probanden, die medizinische Texte wieder erträglicher machen.