Aus dem Poetenleben

Neulich hat ein hypererregter Schriftsteller während einer Preisverleihung lauthals dagegen protestiert, dass nicht er mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, sondern jemand anderes, eine zum Glück deswegen nicht aus der Ruhe zu bringende Schriftstellerin. Der aufgebrachte Poet machte geltend, dass er das Preisgeld gut hätte verwenden können. Um die Kosten für seine Scheidung zu begleichen oder auch, um Schulden zu bezahlen.

Die meisten meiner Freunde fanden den Auftritt lächerlich und hatten sofort einige komische Nummern im Kopf, die ihn noch imposanter und spektakulärer gemacht hätten. Man kann ihn aber auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Für einen kurzen Moment war das Poetenleben nämlich seines Glanzes entkleidet und erschien nackt.
Der Poet schrumpfte zum Autor mit Geldnöten, Büro und Betriebskosten.

Dass ein so reales Dasein das Autorenleben vor allem ausmacht, war wenigen meiner Freunde deutlich bewusst. Sie lesen gern und habe ihre Freude an Büchern, aber sie stellen sich das Leben von Autoren meist noch immer als ein gesegnetes vor. Der Segen kommt vom Himmel, die Einfälle und Themen des Schreibens werden durch Musen eingegeben und an Orten der Inspiration ausgebaut. Ein Leben im Süden am Meer trägt dazu bei, auch Bergwanderungen in der Schweiz ermöglichen ein stressfreies Leben der Schreibenden, die über unendlich viel Freizeit verfügen, was die Etikettierung als freie Autorinnen und Autoren unterstreicht.

Knochentrockene betriebswirtschaftliche Untersuchungen dagegen haben ergeben, dass von den etwas mehr als dreitausend Autorinnen und Autoren, die in der Künstlersozialkasse versichert sind, höchstens einhundert bis zweihundert vom Schreiben allein leben können. Nicht die Fülle genialer Ideen treibt sie vor allem um, sondern die eisernen Mischkalkulationen, mit denen sie ihr monatliches Einkommen berechnen.

Woher soll das Geld kommen? Für ein im Handel mit einem Preis von 20 Euro angebotenes Buch erhalten sie höchstens zwei Euro. Ein kleiner Knaller wäre bereits ein Buch, wenn es 5000mal verkauft worden wäre. Als Bestseller gilt es heutzutage, wenn gerade mal 15 000 Stück über den Ladentisch gewandert sind. Dann stünden dem Schreibgenie immerhin 30 000 Euro zu, die es allerdings in mehrjähriger, geduldiger und stummer Arbeit am einsamen Schreibtisch nur im Glücksfall erworben hätte.

Das angeblich freie Leben erfordert also ein Zweitleben. Es besteht aus vielen, kleinen Nebenhers, „Brotberufe“ genannt. Mit solchen Pflichtaufgaben geht man auf Lesereise, schreibt Artikel, arbeitet in einem Verlag als Aushilfskraft mit, erkundet die Umgebung als Taxifahrer oder macht irgendwas mit Hard- oder Software und damit (vollmundig) in „Informationstechnologie“.

Im günstigeren Fall helfen erfinderische Nebenjobs, man kann jungen Leuten Nachhilfestunden erteilen oder auch Hobbies wie Reiten, Golfen und Laufen einigen ahnungslosen Bekannten auf anspruchsvolle und spirituelle Weise als Coach näherbringen. Die Edelnuance verbindet das Nützliche mit dem Schönen. Dann ist man als Reiseleiter am Meer oder in den Bergen unterwegs und erläutert enthusiasmierten Mitreisenden, wie Thomas Mann es schaffte, mit Blick aufs Meer oder als Mitpatient in einer Bergklinik dicke Romane zu schreiben.

Die Verwandlung des Alltäglichen ins Einzigartige gilt in Insiderkreisen als der Gipfel der Mischkalkulation. Man fährt in den Süden und kann das splendide Leben als Betriebskosten steuerlich geltend machen. Schließlich dienten die Spaziergänge in schöner Natur nichts anderem als einer Kontaktaufnahme mit ebenfalls frei flanierenden Musen. Das Nobelniveau wird erreicht, wenn das alles zu einer Verbindung oder gar Heirat mit einer Person führt, die einen als Nebenerwerbsquelle von allen finanziellen Sorgen befreit.

Aber Vorsicht! So viel perfekte Ideenkalkulation kann deftig scheitern, dann läuft man nicht zuerteilten Preisen hinterher und grübelt am Ende darüber nach, ob sich durch eine ambitionierte Zweitheirat die Scheidung der Erstheirat finanzieren ließe.