Vom Trost der Bäume

Vor kurzem kam ich wieder einmal aus dem tiefen Süden zurück nach Deutschland. Ich fuhr über Bologna Richtung Vicenza und machte einen Abstecher nach Asiago. Die Fahrt führte lang gezogene Serpentinen hinauf zu einer weiten, offen daliegenden Hochebene von tausend Metern Höhe, die im Ersten Weltkrieg schwerste kriegerische Auseinandersetzungen im Verlauf des Gebirgskrieges zwischen Österreich-Ungarn und Italien erleben musste.

Das in den unterschiedlichsten Grüntönen heutzutage friedlich daliegende Gelände erinnerte mich an die westerwäldischen Höhenlagen mit ihren dunklen Waldkuppen und mächtigen solitären Bäumen. Ich wanderte einen der schmalen Schotterwege entlang, auf einer Seite erschien eine Reihe schlichter Häuser, jedes eine Gebirgsschönheit für sich. Nebenbei erfuhr ich, dass eines von dem Schriftsteller Mario Rigoni Stern nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut wurde und lange Zeit die wiedergefundene Heimstatt seines bis 2008 dauernden Lebens war.

Mario Rigoni Stern wurde 1921 in Asiago geboren und im Alter von nur siebzehn Jahren italienischer Soldat. Er diente im legendären Alpini-Corps des italienischen Heeres, das 1943 in Russland eingesetzt wurde, wo Zigtausende dieser Einheiten unter schlimmsten Bedingungen starben. Später kam er als italienischer Militärinternierter in deutsche Gefangenschaft.

Als er nach all diesen schrecklichen Jahren einer verlorenen Jugend wieder in seine Heimat Asiago zurückkehrte, baute er dort das kleine, rosarote Haus, auf das ich gestoßen war.

Ringsum war es von einem beeindruckenden Baumbestand umgeben – auch diese Bäume hatte Rigoni Stern gepflanzt. Sie boten dem Lebensraum seiner Familie nicht nur Schutz, sondern wirkten noch in einem anderen, erweiterten Sinn. Darüber hat er 1991, als die von ihm gepflanzten Bäume eine gewisse Höhe und Stärke erreicht hatten, ein beeindruckendes Buch mit dem Titel Arboreto salvatico veröffentlicht.

Unter einem Arboretum versteht man eine bewusst angelegte Pflanzung von Bäumen, eine Art Baumschule, deren Weiterleben nach der Pflanzung beobachtet, untersucht und durch Fachleute begleitet wird. Eine solche Baumschule hatte Rigoni Stern in der Umgebung seines Hauses angelegt, mit den Jahrzehnten war sie für ihn zu einem salvaticum geworden – zu einem Raum der Heilung und des Trostes. Vom Trost der Bäume ist denn auch der Titel der deutschen Übersetzung des Buches, die gerade erschienen ist.

Es porträtiert zwanzig Bäume in Texten „literarischer Vergegenwärtigungen“. Mit ihrer Hilfe pflanzt Rigoni Stern seine Lieblingsbäume gleichsam noch einmal neu, diesmal in Wörtern und Sätzen. Ich will, schreibt er, „von dem berichten, was ich im Laufe meines Lebens in Erfahrung gebracht habe, was ich auf meinen Wegen und beim Arbeiten im Wald, was ich aus neuen und alten Schriften, was ich von Dichtern, Holzfällern und Forstkundlern gelernt habe. Den Anfang machen die Bäume im Garten vor meinem Haus in den Bergen, gefolgt von den Bäumen in meinem Heimatland Italien.“

Entstanden ist ein wunderbares Buch der Naturbeobachtung, das ich (auch als Geschenk!) sehr empfehle!