Das Spiel mit dem Vertrauen

(Als Kolumne am 20.12.2024 auch im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)

In meinem Freundeskreis haben wir Freunde uns diesmal besonders heftig und entschieden das Vertrauen ausgesprochen. Können wir einander noch vertrauen, haben wir uns vorher gefragt und sind mit dieser Frage in philosophische und psychologische Terrains gewandert, in denen wir uns bei einigen Kölsch am liebsten aufhalten.

Vertrauen hatte in älteren Zeiten damit zu tun, dass man jemandem über den Weg traut. Dieser Jemand stellt uns keine Fallen, er ist uns vielleicht sogar dabei behilflich, auf dem Weg gut voranzukommen. Jemandem trauen kann aber noch mehr bedeuten, wenn beim Trauen auch Treue im Spiel ist. Dann ist das Trauen durch lange Erfahrung im Umgang mit jemand anderem gleichsam geadelt. Ist jemand treu, haben wir ihn längere Zeit beobachtet und an seiner Seite Erfahrungen mit ihm geteilt, die ihn als treuen, uns zugewandten Menschen erkennbar machen.

Im kleinen Kreis meiner guten Freunde sind solche Formen des Vertrauens lebendig, anders ist es aber um die Politik bestellt. Institutionelle Verbindungen für gemeinsames politisches Handeln wie zum Beispiel Koalitionen beruhen nicht auf Verbindungen von Menschen, die längere Zeit Erfahrungen miteinander gemacht haben. Im Gegenteil, es sind Verbindungen, die unter sich laufend verändernden Umständen immer aufs Neue gegenseitiges Vertrauen herstellen müssen.

Anders gesagt: Koalitionen sind keine Freundeskreise, die abends Kölsch miteinander trinken und dabei immer klüger und reflektierter werden. Es sind vielmehr kurzfristig verbundene Runden, vergleichbar jenen Runden im gehobenen Management, wo das Vertrauen sich am Funktionieren und am wirtschaftlichen Erfolg orientiert.

Psychologische Forschungen haben solche Runden gut untersucht und dabei Erscheinungen von Swift Trust (flüchtigem Vertrauen) beschrieben. Swift Trust entsteht, wenn die Mitglieder einer Gruppe oder Runde sehr heterogen sind, keine langen Erfahrungen miteinander geteilt haben und nicht genügend Zeit zur Vertrauensbildung haben. Die Ampel-Koalition hat genau unter solchen schwachen Vertrauenskonstruktionen gelitten.

Sie waren vorhersehbar und hätten regelmäßig neuer Vertrauensbildungen bedurft. Daran hat es gefehlt. Dass sie fehlten, wurde immer dann nach außen hin deutlich, wenn finanzielle Entscheidungen von großer Tragweite getroffen werden mussten. Dann war „Vertrauen“ nicht mehr abrufbar, allein schon deshalb, weil der mutmaßliche Vertrauenspartner sich unter dem gestiegenen ökonomischen Druck in eine andere Person verwandelte.

Diese Verwandlungen waren die erstaunlichste Seite des Psycho-Schauspiels, das die Ampelkoalition geboten hat. Aus einem früher selbstbewusst wirkenden Hamburger Bürgermeister wurde das Mitglied eines Schweigeordens, aus einem redegewandten Schriftsteller ein zerknirschter Selbsttherapeut und aus einem begeisterten Porschefahrer ein den Tränen naher Pubertierender, der seine Nichtversetzung in die nächste Klasse nicht akzeptieren wollte.

Mit all diesen Umbrüchen, sagen meine Freunde, sollen wir nun zurechtkommen. Wie können wir anhand dieser bedenklichen Signale die Zukunft lesen? Indem wir, haha, die Grundsatzprogramme der Parteien studieren, die jetzt bald in die Haushalte flattern? Oder indem wir selbst in Parteien eintreten, um dort Vertrauen herzustellen?

Keine schlechte Idee, die Vertrauenskrisen haben uns aktiviert und vor neue Herausforderungen gestellt. Wir sollen die Dinge des Lebens in die Hand nehmen, entschlossen und entschieden, schließlich wissen wir, worauf es ankommt. Und woher wissen wir das? Weil wir unseren alltäglichen Haushalt managen, Euro für Euro, Woche für Woche.

Was braucht es noch mehr? fragen meine Freunde, mutig geworden. Selbstvertrauen wäre eine gute Grundlage für die Zukunft. Kein Hin und Her, sondern ein Vertrauen, das auf einer langen Erfahrung mit der eigenen Instabilität beruht. Zu komplex? Ach was, genau richtig – und vor allem ehrlich.