Whatever it takes – Die neue Großspurigkeit

(Am 25.3.2025 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)

Whatever it takes – das ist der Leitsatz, der das finanzpolitische Gebaren der neuen Regierung stimulieren und Licht in den Nebel bringen soll. Friedrich Merz wiederholt ihn ernst wie ein Glaubensbekenntnis, erinnert er sich doch gut daran, woher der Satz stammt. Mario Draghi erfand ihn 2012 in freier Rede als Präsident der Europäischen Zentralbank und bewirkte damit schwuppdiwupp den sogenannten Draghi-Effekt.

Die EZB sei bereit, alles Notwendige zu tun, um der Krise des Euro entgegen zu wirken – das hatte Draghi gesagt. Den eigentlich wirksamen Effekt lieferte aber ein kleiner Nachsatz: „Glauben Sie mir, es wird genug sein.“ Alle, die das hörten, mussten erschauern: Daran glauben! Es wird genug sein! Kein weiteres Wort war notwendig, der Glaube zu Draghi hinterließ gewaltige Wirkungen, und die Finanzmärte beruhigten sich stante pede.

Heutzutage hat die Wendung etwas Großspuriges, sie will die Probleme lässig und souverän angehen, lässt aber die eigentlichen Hürden im Dunkeln. Gewaltige Summen sollen Eindruck machen und beruhigen: Wenn so viel Geld ausgegeben wird, muss es ja klappen, von ganz allein! Die Skeptiker unter meinen Freunden haben da starke Zweifel, andere schlagen die Einwände in den Wind und reden die großen Summen erstmal klein. Wie wäre es etwa mit Social-Leasing-Programmen auch für mittlere und niedrige Einkommen bei E-Autos? Das hört sich übersichtlicher und griffiger an. Hauptsache, es wird wieder Geld ausgegeben, egal wo und wie! Und bitte gezielt und nicht nach dem Gießkannenprinzip!

Es gibt gute und schlechte Schulden, sagen die finanztechnisch Eingeweihten, behalten aber die Untiefen solcher Überlegungen für sich. Die Gefahr droht durch das sogenannte „herausgeschmissene Geld“. Besonders der Verteidigungsetat soll solche Ausgaben geradezu anziehen. Rasch sind dort mal einige Milliarden für Geräte im Showdesign investiert, die keiner gut genug kennt und die nicht ausreichend getestet wurden, weil dafür die Zeit fehlt. Vielmehr sollen die großen Summen sofort und ohne lange Grübeleien ausgegeben werden, um Deutschland „wehrtauglich“ dastehen zu lassen.

Auch hier überlagern die markigen Worte und die Appelle an das notwendige Selbstvertrauen die Realitäten. Dabei weiß jeder einfache  Finanzier, dass rasche und vorschnelle Ausgaben sich rächen, wenn sie nicht auf langfristige Nutzungsmöglichkeiten angelegt sind. Whatever it takes ist in dieser Hinsicht ein Aufguss eines alten Erfolgsrezeptes unter gänzlich anderen Bedingungen, die keiner so richtig durchschaut.

Entsprechend spürt man die Unsicherheiten, die alle befallen hat. Sie sollen durch weitschweifiges, letztlich aber unsolides Reden und Sprechen wettgemacht werden. Notfalls muss das Stichwort „Europa“ dran glauben, um so etwas wie Zusammenhalt und Sicherheit zu suggerieren. Dann weicht man wieder einmal von den eigenen Bedenken und Zweifeln ins nur scheinbar Größere, Ältere und Gefestigtere aus. Erneut nur ein Schein-, aber kein Draghi-Effekt!

Vor kurzem hat der Philosoph Peter Sloterdijk über dieses unsichere, leb- und farblose Europa noch ein Buch veröffentlicht, in dem er nach den Kernständen seiner lahmen Gegenwart fragt. „Der Kontinent ohne Eigenschaften“ werde durch Palliativformulierungen nur künstlich am Leben erhalten, gerne durch die Ersatzformulierung vom „Westen“ oder den „westlichen Werten“. Europa versuche aber lediglich, sich aufzurappeln, durch Bekenntnisse zur EU oder zur Nato und dadurch, dass auch seine Kommissionen große Geldsummen auf die Tagesordnungen setzen, als lieferte der Wind vor Mikrofonen in Brüssel schon Lösungen.

Doch „die Inszenierungsmacht liegt auf der anderen Seite des Atlantiks“, schreibt Sloterdijk – und macht den Sack zu. Auch Russland habe gegenüber Europa strategische Vorteile, da das schwache Europa „keine Führung mit hegemonialem Profil erzeugen“ könne. Die Erinnerung an Mario Draghis Effekte kann uns endgültig nicht mehr nützen. In seinem Bericht zur Lage der europäischen Wirtschaft hat auch Draghi sich von großen Hoffnungen verabschiedet: „Slow Agony“ hat er den Europäern in die Wirtschaftsbücher geschrieben. Das hört sich ehrlicher an, zumal Draghi nie ein Mann für Mikrofone war. Man weiß, dass er vielmehr ein Bewunderer von Ignatius von Loyola ist. Der hat einmal geschrieben: „In einer belagerten Festung ist Uneinigkeit Verrat.“

Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs wünsche ich ein entspanntes Wochenende!