(Am 28.05.2025 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)
Robert Francis Prevost tritt als Papst Leo XIV. so auf, als habe ihn in der Tat ein heiliger Geist in das hohe Amt berufen und mit all den notwendigen Gaben ausgestattet, die es für einen so bedeutenden Dienst an der Kirche und ihren Gemeinden braucht. Viele Beobachter, darunter auch meine Freunde, versuchen sich die mühelos erscheinende Noblesse zu erklären, mit der er das Amt übernommen und in kurzer Zeit erste auffällige Zeichen gesetzt hat.
Woher kommt diese Geradlinigkeit, gepaart mit einer unübersehbaren Einfachheit und Eleganz? Mir hat seine Biografie zu denken gegeben, die von Jugend an mit einer Ausbildung im Augustinerorden verknüpft war. Bevor er volles Mitglied des Ordens wurde, studierte er Mathematik und Philosophie und folgte so den Ambitionen des heiligen Augustinus (354-430), dessen Lebensideal die Verbindung der neuzeitlichen Wissenschaften mit Philosophie und Glauben war.
Kommt man heutzutage nach Venedig, kann man in der Scuola di San Giorgio degli Schiavoni den Blick auf eine Bilderserie des großen venezianischen Malers Vittore Carpaccio (1465-1525) werfen. Darunter befindet sich auch ein Gemälde, das zu den berühmtesten Augustinus-Darstellungen der Kunstgeschichte gehört. Es zeigt die Studierstube des Heiligen sowie die Gegenstände und Atmosphären seines durch den Glauben inspirierten Studiums.
Obwohl es sich um eine Studierstube handelt, erscheint der Raum nicht, wie zu erwarten, dunkel und verschlossen, sondern weit geöffnet und aufgeräumt. Ein helles Licht durchzuckt ihn und nötigt den Gegenständen und Möbeln klar umrissene Schatten ab. Augustinus steht an seinem Schreibtisch und schreibt einen Brief. Durch ein Fenster trifft ihn das einfallende Licht und berührt ihn wie eine Vision. Während er schreibt, diktiert ihm eine Stimme, dass der Adressat seines Schreibens, der heilige Hieronymus, gestorben ist.
Im Vordergrund erkennt man Seiten seiner Studien, die zu den ersten neuzeitlichen Studien zur Theorie der Musik gehören. De musica heißt die Schrift, in der er sie zusammengefasst hat. Zur Linken erkennt man an einer Wand viele Bücher, in Reih und Glied. Ihre Lektüre stellt das notwendige Wissen für die eigene Arbeit bereit. An der hinteren Wand öffnet sich ein Altar mit Mitra und Krummstab, den Attributen seines Bischofsamtes.
Neben den Büchern zeigt das Gemälde aber auch Gegenstände der praktischen astronomischen und botanischen Forschung, ein Astrolabium und ein Muschelhorn. Der gesamte Raum ist erfüllt von der Zweiheit des Empfindens und Denkens. Die Dinge der Welt werden konkret untersucht und mit den inneren Erfahrungen des Glaubens verbunden. Das Studium weitet sich daher zu einer spirituellen Schau, die mit den Dingen wie mit Zeichen der göttlichen Schöpfung umgeht.
Diese besondere Aufmerksamkeit hinterlässt eine kleine, intime und sympathische Spur. Sie zeigt sich in den hellwachen Blicken eines kleinen, weißen Hundes, der auf dem Boden sitzt und den Heiligen bei seiner visionären Schau beobachtet. Es ist ein Spitz, der die Erregung des Heiligen aufnimmt, ohne sie dramatisch zu spiegeln.
Das Carpaccio-Gemälde wirft in meinen Augen ein weiterführendes Licht auf den neuen Papst. Seine Augustinus-Gefolgschaft, die sich auch in zahlreichen Zitaten seiner Predigten bereits bewiesen hat, führt nicht in die dunkle, klösterliche Zelle, sondern in das strahlende, Wissenschaft und Glauben verbindende Arbeitszimmer eines Bischofs, der sich nicht zurückzieht, sondern die Visionen des Geistes schreibend und denkend in vielen Sprachen erwartet.
Am vergangenen Sonntag hat er in seiner römischen Bischofskirche, San Giovanni in Laterano, einen ersten Gottesdienst gehalten. In der Predigt lud er die Gläubigen dazu ein, „gemeinsam zu lernen und zu verstehen“, getreu dem Wort des heiligen Augustinus: „Mit euch bin ich Christ und für euch bin ich Bischof.“ Das sind gute Voraussetzungen für einen weiten, anspruchsvollen Weg, bei dem die Geduld und die Aufmerksamkeit für Zeichen aller Art nicht verloren gehen sollten.