Warum habe ich dieses Buch nicht längst in meinem Blog vorgestellt? Seit Jahren liegt es in der Küche, wo ich immer wieder hineingeschaut und mich als bekennender Freund japanischer Ästhetik über die verblüffende Verbindung von Kochen und Kunst gefreut habe.
Sein Autor ist der 1979 in Tokio geborene Shinroku Shimokawa, der nach einem Studium der Bildhauerei in seinem Geburtsort an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart studierte und seit 2015 dort lebt.
In seiner Kurzvita wird darauf hingewiesen, dass „Feldforschung und Materialerkundung“ die „wichtigsten Bestandteile seiner künstlerischen Tätigkeiten, in der Bildhauerei wie auch beim Kochen“ seien.
Wie das genauer zu verstehen ist, sagt Shimokawa in seinem Nachwort. Kochen und Kunst beginnen mit der Beobachtung des Materials und den Überlegungen dazu, wie es zu bearbeiten und zu verändern sei. Zerkleinern, schlagen, schieben – das sind experimentelle Versuche des dialogischen Umgangs mit dem Stoff, durch die dem Material neue Gestalten zugefügt oder entlehnt werden.
Zahlreiche Fotografien des Künstlers durchziehen das Buch wie ein vielstimmiger Chor. Sie präsentieren die Zutaten und zeigen ihr Dekorum in schönen, schlichten Formen japanischer Keramik – während der dritte Part aus Materialaktionen mit Stein, Holz, Feuer oder Bronze besteht.
Die Rezepte folgen keiner traditionellen Vorstellung von Kochen, sondern sind eher Erzählungen, die eine Speise als Geschichte ihrer Erkundung vorstellen.
Das Ergebnis ist ein immens vielfältiges Bildgeschehen, das man nicht hurtig durchblättern mag, sondern in dessen verschiedenen Sprachen man immer wieder verweilt, um der besonderen Schönheit einer Komposition nachzugehen.
Die Großkapitel folgen den vier Jahreszeiten. Jetzt, im Sommer, geht es zunächst um getrockneten Fisch, der in Japan lieber gegessen wird als frischer oder gegrillter. Wir nehmen ihn aus, legen ihn eine Stunde in Salzwasser und lassen ihn in einem Trockennetz zwei bis drei Tage im Halbschatten trocknen. Im Kühlschrank können wir ihn danach eine Woche aufbewahren.
Shimokawas Küchenexperimente entwickeln sich draußen und drinnen – beim Sammeln von Pilzen, Blättern und Ginkokernen oder in großen Töpfen, wo die legendären Eintöpfe aus einer unnachahmlichen Brühe entstehen.
Irgendwann musst Du einmal mit einem Rezept anfangen, habe ich mir neulich gedacht und es (aus alter Freude an Chili jeder Art) mit einem einfachen Start versucht: „Knoblauch und Ingwer sehr fein hacken und in einem kleinen Topf mit Chili, Wasser und Fischsoße aufkochen. Sobald die Soße kocht, noch drei Minuten weiterkochen. Die Soße mit Speisestärke etwas eindicken und eventuell nachwürzen.“
Ich habe an diesem Abend nichts anderes gegessen als nur diese Soße. Kombiniert habe ich sie mit Kohl und Fenchel, ja sogar mit Rettich und Radieschen. Während ich dem Rezept folgte, reagierte ich auf die zurückhaltenden Empfehlungen: … sehr fein hacken …, kleiner Topf …, aufkochen und weiterkochen …, etwas eindicken und nachwürzen … – ich kochte vorsichtig, wie auf Zehenspitzen.