Reaktionen der Leserinnen und Leser

Die lebenspraktische Leserin schreibt eine lebenspraktische Mail: Sehr geehrter Herr O., auf Seite XY Ihres neuen, wunderbaren Werks wird eine Ochsenschwanzsuppe erwähnt. Dürfte ich um eine Liste mit den Zutaten bitten? Am Sonntag erwarte ich große Teile meiner Verwandtschaft und möchte gerne eine Ortheilsche Ochsenschwanzsuppe servieren. Es dankt Ihnen im Voraus – Ihre AB

Interviews

Interviews werden immer beliebter. Viele Rezensenten bemühen diese Form, um keine Rezensionen schreiben zu müssen. Mit dem Interview wird die Hauptarbeit auf den Autor zurückverlagert. Er muss dafür bereit sein, Rede und Antwort stehen – und er muss das Interview (nachdem es abgetippt und ihm zugeschickt wurde) „autorisieren“. Was bedeutet: Er muss es umschreiben, korrigieren und viel Zeit auf Texte verwenden, in denen er selbst über sein eigenes Buch spricht. Das Interview ist die Kurzversion einer Verdopplung: Das Buch als Instant-Mix. Sollte man, um ehrlicher zu sein, die Fragen nicht gleich dem Autor überlassen? Damit er auf Fragen antwortet, die ihn weiterbringen und nicht vom Erwarteten handeln?

Die Biographie eines Buches

Man könnte die Biographie eines Buches schreiben. Dann müsste man mit der Inkubationsphase (erste Ideen, Notate, Entwürfe, Planungen) beginnen. Wird die Inkubationsphase aktiviert, beginnt die Phase der Ausarbeitung (Entwürfe straffen, Textanfänge schreiben, sich auf eine Komposition festlegen, kontinuierlich weiterschreiben). Darauf folgt die Phase der Überarbeitung (Kürzungen, Reinschrift), die übergeht in die Phase des Lektorats (Korrekturen von außen). Es folgen der Druck und das Erscheinen des Buches an einem bestimmten, vom Vertrieb des Verlags seit langem festgelegten Tag. Mit dem Vorabexemplar ist das Buch in der Öffentlichkeit und schließlich auch im Handel. Die Phase der Lesungen und der Rezensionen beginnt. Begleitet wird sie von der Phase der Interviews und der internen und externen Gespräche über das Buch. Es folgt die intensive Phase der Rückmeldungen (aus dem Verlag, von einzelnen Lesern, von sogenannten „Experten“, die sich vertraulich, aber nicht öffentlich äußern). Längst arbeitet man am nächsten Buch, die Erinnerung an das gerade veröffentlichte verblasst. Es macht sich selbständig, reist, wird übersetzt, geht ein in die kulturellen Debatten, wird zitiert. Mit den ersten Zitaten im öffentlichen Diskurs ist seine Autonomie vollends erreicht.

Lesungen

Hoch interessant sind die Beobachtungen der direkten Leserreaktionen während der vielen Lesungen seit der Buchmesse: Die Zuhörer in Dresden reagieren in der Tat völlig anders als die in München, Osnabrück oder Paderborn. In Paderborn waren die Leser am Stillsten, so dass ich sie während meiner Lesung schon im Verdacht hatte, verschwunden zu sein. Doch ausgerechnet in Basel (wo ich mit einem ebenfalls ruhigeren Publikum gerechnet hatte) verlief die sogenannte „Interaktion“ zwischen lesendem Schriftsteller und zuhörenden Lesern so intensiv, vielstimmig und temperamentvoll, als hätten fast alle Zuhörer zu mir nach oben auf die Bühne springen wollen, um dort mit mir den Text zu tanzen.

Ein Literaturpreis

Ich habe den Hannelore-Greve-Literaturpreis der Hamburger Autorenvereinigung erhalten. Bürgermeister Scholz hat im Hamburger Rathaus die Begrüßungsrede gehalten. Auch er hatte seine Freude u.a. an Was ich liebe und was nicht, speziell an „Kutteln mit grünen Oliven“: zum Grußwort

Eine Unterscheidung

Schreibe ich an einem Roman, bin ich oft jahrelang im Gehäuse dieses Textes gefangen. Ich muss Stil und Erzählton über Hunderte von Seiten beibehalten, ich muss meinen Figuren Schritt für Schritt folgen, ich muss Räume und Zeiten allmählich aufbauen und weiter entwickeln – all das legt mich fest und lässt mir keine großen Freiheiten.
Die Arbeit an Was ich liebe und was nicht verlief anders. Die meisten Texte sind nur wenige Seiten lang und ergeben als ganzes eher ein Kaleidoskop und keine allzu strenge Komposition. Verlockend war diesmal das Ausprobieren vieler Stimmen: Monologe, Dialoge, Zwiegespräche, Gedichte, Reportagen, Interviews, Erzählungen, Essays – all diese literarischen Formen sind – je nach Bedarf – vertreten und ergeben ein abwechslungsreiches Porträt verschiedener Lebensmomente. Auch deshalb hatte das Schreiben dieses Buches etwas Befreiendes.

 

Buchmesse Frankfurt

Ich war einige Jahre nicht auf der Buchmesse, umso größer ist der erste Schock beim Besuch in diesem Jahr. Warum bin ich nicht in meinen Wäldern und Gärten geblieben, anstatt mich diesem Dahintreiben von Zigtausenden von Menschen auszusetzen, für die das Thema Buch ein Vorwand für allerhand Unterhaltung ist? Was um Himmels willen soll ich hier? Die Gespräche sind meist von extremer Kürze: „Seit wann bist Du da?“ Und eine Minute später: „Und wann fährst Du ab?“ Ein Fokus der Beobachtung sind die gleichaltrigen Autorinnen und Autoren: Wie geht es der oder dem? (Schleppender Gang? Tiefe Falten? Dramatischer Haarausfall?) Wie gut, dass zumindest mein Lektor (Klaus Siblewski) ein Mensch ist, der sich in Jahrzehnten nicht verändert hat und in der alten stoischen Ruhe unterwegs ist. In regelmäßigen Abständen laufe ich ihn an und hoffe, dass er mich wiedererkennt. (Fragt er: „Geht es Dir gut?“ ist eindeutig etwas nicht in Ordnung.) Meine eigene Frau (in ihrer Tätigkeit als Verlegerin) erkenne ich dagegen schon nach kurzer Zeit nicht mehr wieder. Sie hat sich voll und ganz in ihren Beruf verabschiedet, ich verstehe ihre Sprache nicht mehr, sie ist mir recht fremd geworden. Ein schöner Moment ist aber der, als ich einen Ortheil-Leser am Stand des Luchterhand-Verlages entdecke. Er liest hoch konzentriert in einem meiner Bücher. Schwarze Brille, ein schwarzes Jackett, schon auf den ersten Blick ein kluger, geistreicher Mann. Natürlich spreche ich ihn nicht an, sondern beobachte in regelmäßigen Abständen aus der Ferne, wie er mit meinem Buch weiterkommt. (Nach beinahe einer Stunde Lektüre nimmt er sich ein zweites vor, was ich nun beinahe schon ergreifend finde.) Sonst aber liegt über allem ein ununterbrochenes, lautes Rauschen, ein gewaltiger Stimmenschwarm mit enormer Frequenz. Er löscht jeden halbwegs stabilen Gedanken sofort wieder, so dass ich aus den Messehallen oft hinaus ins Freie flüchte. Immerhin gibt es dort einen Stand mit Bordeaux-Weinen. Was nehme ich? „Lebhaft und fruchtig“? „Spritzig und fein?“ Nein, das alles nicht. Ich nehme: “Rund und strukturiert“.

 

Im Garten

Ich mag es, wenn ein Haus direkt in den Garten übergeht. Wenn es nichts Abgeschlossenes, Festes, Dominantes hat, sondern zum Garten hin offen ist. Ein kleiner Schritt hinaus – und man steht im Grün, und die verschiedensten Pflanzen, Sträucher und Bäume erscheinen einem wie Lebewesen, die sich um einen scharen. Kein „Haus“ also, sondern ein „Gartenhaus“, durchlässig, in den wärmeren Jahreszeiten nach zwei Seiten hin offen, so dass der Garten in ihm weiterlebt und anwesend ist.
In meinen Augen ist er ein intensiver Lebensraum, in dem sich das allmähliche, kontinuierliche Vergehen von Zeit beobachten und ablesen lässt wie nirgends sonst. Seine „Lebewesen“ reagieren in unglaublich feiner und exakter Manier auf Licht oder Feuchtigkeit. Sieht man solche Veränderungen von Tag zu Tag, wird dieser Naturraum der Jahreszeiten zur innersten Zelle des eigenen Lebens. Man „hat“ keinen Garten, sondern der Garten „hat“ einen. Man lebt mit ihm, er ist der Atem und das Herz alles anderen Daseins.

 

Waldspaziergang

Die Waldspaziergänge am frühen Abend können gar nicht lange genug dauern. Die Jogger sind endlich verschwunden, und auch die Downhill-Raser sind abgezogen. Keine Tiere mehr, keine Vogelsignale, sondern eine leichte Anspannung, kurz vor dem Kipp in die Nacht und das Dunkel. Frühherbststimmung. Die Blätter der Bäume und Sträucher noch ohne starke Färbung, das morbide Grün entrückt, auf Distanz, nicht mehr kraftvoll oder lebendig. Eine seltsame Starre: als zöge sich alles Leben langsam zusammen. Dazu die feine Kühle, ein statisches Gleichgewicht, keine wärmeren oder kälteren Parzellen, sondern das einheitliche Lagern einer Frische, die der Kopf als etwas sehr Angenehmes, Konstantes erlebt. Längst reichen die Sonnenstrahlen tagsüber nicht mehr bis tief hinunter in diese allmählich ausdorrenden Zonen, die schon vom Winter handeln, aber den Abstand zu ihm noch in feinen Nebelbänken markieren. Sie liegen am späten Abend auf den weiten, offenen Wiesen, die aussehen wie Metaphern der Träume, mit denen man sich in die Nacht zurückzieht. Komm heim, geh endlich nach Hause, morgen verlierst Du Dich noch eine Stunde früher am Abend in Deinen Wäldern…