Anekdoten (nach Heinrich von Kleist) 5

Nachdem ein Wärter des Kölner Zoos seinen Seelöwen die wunderbare Erzählung des Schriftstellers Hanns-Josef Ortheil (aus seinem Buch Was ich liebe und was nicht, S. 84) über die Verliebtheit einer Seelöwin im Kölner Zoo an mehreren Tagen jeweils mehrmals vorgelesen hatte, gerieten die durch diese Rezitationen in Furor geratenen Seelöwen so außer sich, dass sie ihr Treiben und Schreien die Nächte durch fortsetzten. Da sich eine Anwohnerin dadurch erheblich in ihrer Nachtruhe gestört fühlte, prüften die Behörden die ungewöhnliche (und von Nacht zu Nacht sogar noch mehr anschwellende) Lautstärke des Seelöwentönens und kamen dabei zu Messungen von Werten, die das zulässige Maß erheblich überschritten. Die Direktion des Zoos geriet dadurch in einige Verlegenheit, wusste doch niemand von ihren Tierkennern und Tierverstehern, was in die sonst so friedlichen und fast lautlosen Tiere gefahren war. Erst als der Wärter länger und eindringlich befragt wurde, kam man der Ursache der Verhaltensänderung der Seelöwen auf die Spur. Dementsprechend wurde der Mann gebeten, die Rezitationen nun mit Ortheil-Texten von stillen Spaziergängen auf dem Land fortzusetzen, in denen keinerlei Tiere vorkamen. Die Behandlung verlief schon nach der ersten Lesung derart erfolgreich, dass die Anwohnerin (selbst eine begeisterte Ortheil-Leserin) dem Kölner Zoo fünf Exemplare Was ich liebe und was nicht schenkte. Aus dem Verkaufserlös der Bücher wurden Heringe bester Qualität für eine besonders opulente Seelöwenfütterung gekauft, was den zu diesem festlichen Anlass herbeigeeilten Schriftsteller sofort zu einem neuen Buchtitel inspirierte: Welche Tiere ich liebe und welche nicht (Quelle: FAZ vom 8. und 9. März 2018)