Vor kurzem bin ich Umberto Eco begegnet. Ich sah Davide Ferrarios Film La biblioteca del mondo, in dem Eco vom Urphänomen seines Schreibens und Denkens spricht: Der Bibliothek.
Zunächst ist es die eigene in seinen Privaträumen. Für Besucher ist die Parade der Zigtausend Bücher unübersichtlich, Eco aber kennt den genauen Platz jedes einzelnen Buches, und so sieht man ihn zu Beginn des Films viele Meter zurücklegen und Gänge durchstreifen, bis er genau vor dem gesuchten steht und es zielsicher aus der Regalmeute zieht.
Dann aber geht es um das Denken in Bibliotheken schlechthin. Eco beschäftigt sich nicht mit Büchern, sondern mit ihren Welten. Sie sprechen miteinander, man kann sie nicht einzeln befragen, sie bilden einen vielstimmigen, überwältigenden Chor, dem man sich am besten in großen Bibliotheken nähert.
Man „stöbert“ nicht in ihnen, sondern badet in ihren Wellen und Fluten. Gelingt das, verwandelt sich das Gehirn, es denkt in Bildern, Zeichen und Rätseln, zu denen man Texte erfindet. Sie hinken meist etwas hinterher, aber sie sind fleißig und hilfsbereit, muntere Gesellen und Dienstboten, die einem auf die Sprünge helfen.
Das können Abhandlungen sein, Essays, Parodien, Kolumnen, aber auch umfangreiche Romane. Es gehört zum Schönsten des Films, wie leicht und beseelt Eco vom Schreiben dieser Texte spricht. Nicht wie der schriftstellernde, leidende Lastenträger, sondern wie ein gut gelaunter Mensch, dem das Schreiben Freude macht.
Einmal kommt er auch auf sein meistverkauftes Buch, den Roman Der Name der Rose, zu sprechen. Wie kam er dazu, einen Kriminalroman zu schreiben? Wie denn bloß?, wird er gefragt, und die Frage klingt wie ein verkappter Vorwurf. Ah, antwortet Eco, ganz einfach, da gab es einen Verleger, der einige seiner gelehrten Freunde einlud, sich einmal in einer scheinbar trivialen Gattung zu versuchen und eine spannende Geschichte zu erzählen. Das hat mir gefallen, sagt Eco, ich habe mich gleich hingesetzt und mit der Arbeit begonnen!
Man sieht in diesem Film auch einige Ausschnitte aus Interviews, die er in der halben Welt gegeben hat. Er wirkt immer ironiebereit und lauert geradezu auf seinen nächsten, ihn selbst überraschenden Einfall. Als Zuschauer gerät man mit in Lauerstellung und verlässt das Kino als einer, der die Welt nicht mehr ganz ernst nehmen kann. Wo steht die nächste Bibliothek? Und was mache ich mit der eigenen? Weiter im Kopf mit herumtragen und Texte ins Freie flirren lassen? Oder sich mit wenigen Büchern zurückziehen ins Land der letzten Weisheiten? Altersgesättigtes Philosophieren?!
Zum Glück bin ich Umberto Eco begegnet. In meinen Träumen werde ich ihn um Rat bitten. Wie kamst Du dazu, einen Liebesroman zu schreiben? könnte er zu Beginn unseres Gesprächs fragen. Wie denn bloß? – und warum? – Ich wollte in einer scheinbar trivialen Gattung eine Geschichte erzählen, die ganz und gar nicht spannend ist, werde ich antworten. Und Eco könnte lachen: jep, das gefällt mir!
(Der Film ist jetzt in unseren Kinos angelaufen!)