(Am 3. September 2025 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)
Wie aus verschiedenen, zuverlässigen Quellen zu erfahren war, denkt Papst Leo XIV. daran, in Gesellschaft mit mehreren augustinischen Ordensbrüdern in den bald renovierten Apostolischen Palast zur Rechten der Peterskirche einzuziehen. Benedikt XVI. wohnte dort noch allein, während Papst Franziskus es vorzog, in Santa Marta, dem Gästehaus des Vatikans, zu leben.
Anscheinend hat Leo XIV. sich die Frage gestellt, wie er einer Vereinsamung im hohen Amt entgehen und gleichzeitig an das Leben anknüpfen könnte, das er vor der Papstwahl führte. Damit hat er ein Thema berührt, das auch viele ältere Menschen unserer Zeit umtreibt. In meinem Freundeskreis wird mir immer wieder erzählt, dass nach dem Tod von Partnerinnen oder Partnern oft darüber nachgedacht wird, wie das weitere Leben zu gestalten sei.
Allein zu leben sind viele nicht gewohnt. Ein solches Leben ist fordernd und verlangt Abwechslung sowie ein gewisses Geschick, sich regelmäßig mit neuen belebenden Impulsen von außen zu versorgen. Dazu gehören fortlaufende Gespräche mit anderen, in denen man von sich erzählt und auf die Erzählungen des Gegenübers antwortet.
Gemeinsame Unternehmungen müssen geplant werden und sollten inspirierend verlaufen. Die oft enge Gemeinschaft mit einer zweiten Person soll allmählich in das gesellige Zusammensein mit mehreren Personen übersetzt werden. Nicht zu häufig, aber eben doch alle paar Tage könnte es zu solchen Begegnungen kommen. Die persönliche Freiheit sollte erhalten, aber durch Angebote von außen begleitet und vor allem gestützt werden.
Die Frage, wie es gelingen könnte, auf diese Weise zusammen zu leben, hat der französische Schriftsteller und Philosoph Roland Barthes in Vorlesungen und einem daraus entstandenen Buch behandelt, in dem er viele der denkbaren Facetten solcher Existenzformen untersuchte. Sein Ausgangspunkt war das mönchische Leben, das gleichsam exemplarisch die steten Wechsel von Einsam- und Gemeinsamkeit vorführt. Die christlichen Orden haben den Mönchen Regeln gegeben, mit deren Hilfe sie zu bewältigen sind. Gemeinsam verbringen sie die Mahlzeiten, die regelmäßigen Zeiten des Gebets und Arbeiten unterschiedlichster Art, allein sind sie in ihrer Zelle, dem letzten Refugium des Privaten.
Barthes verstand ein solches Leben als Urmodell einer erst noch zu gestaltenden Lebensgemeinschaft. Genau an diese Überlegungen knüpft Leo XIV. gegenwärtig anscheinend an, indem er sich nicht allein in den Apostolischen Palast und die dort zur Verfügung stehenden vielen Zimmer zurückzieht, sondern bestimmte Phasen des Tages mit Glaubensbrüdern verbringen will: Mahlzeiten, aber auch Zeiten unterschiedlicher Gespräche, zu zweit, zu mehreren, wie auch immer und wie es sich ungezwungen ergibt.
Letztlich erscheint das als ein Versuch, ein Stück des bisherigen Lebens hinüberzuretten in das Dasein als Pontifex. Es nimmt dem päpstlichen Dasein eine überzogene Einzigartigkeit, indem es mit anderen Leben verbunden und einem Erfahrungsstrom aus der nächsten Umgebung ausgesetzt wird. Die involvierten Glaubensbrüder erhalten dadurch den Status von Freunden, mit denen man gerne Zeit verbringt und von denen man offene und ehrliche Worte erwartet.
„Ich werde auf vieles verzichten müssen, mein Leben hat sich verändert, aber ich werde niemals aufhören, Augustiner zu sein“, sagte Leo XIV. nach seiner Wahl zum Papst. Dieser Perspektive will er treu bleiben und das Papstamt durch eine neue Nuance bereichern. Sie macht aus einem möglicherweise einsamen und auf sein Amt fixierten Menschen ein geselliges, sich den Krisen und Problemen der Anderen öffnendes Wesen, dessen Alltag in einem Kreis guter Freunde und enger Nachbarn verläuft. Ende September soll der Umzug in den Apostolischen Palast stattfinden.