Prager Imaginarium

Seit über einem Monat lese ich immer wieder mit großem, unvermindertem Erstaunen in einem Buch des Kafka-Forsches Hartmut Binder: Gestern abend im Café. Kafkas versunkene Welt der Prager Kaffeehäuser und Nachtlokale. Vitalis Verlag 2021.

Auf fast 700 eng bedruckten, reich und sorgfältig illustrierten Seiten lädt Binder den Leser in das alte Prag ein. Man wird in Hotels, Restaurants, Bier- und Weinstuben, Cafés und Varietés geführt – und das so detailliert, dass man glaubt, an den Tischen dieser Etablissements zu sitzen, die Details der Einrichtungen und Speisekarten zu studieren, die Stimmen der vielen Gäste zu hören und hier und da Franz Kafka zu begegnen, für den diese Welten die Hintergrundfolie für sein Leben und Schreiben waren.

Hartmut Binders kommentierende Texte instrumentieren die über tausend Abbildungen aus seinem immensen Archiv: Postkarten, Programmhefte, Szenen der Innenrichtungen und der bekanntesten Darstellerinnen und Darsteller. So entsteht ein visuell-textuelles Stadtporträt, wie man es sich nicht schöner vorstellen kann.

Es führt in einem großen Reigen durch Geschichten des kulturellen Prager Lebens, die skizziert und aufgeblendet werden: Stoff für ein intimes Erzählen, in das man anhand dieser einzigartigen Quellen einsteigen könnte.

So erinnerte ich mich auch bald an eigene Plätze eines früheren geselligen Daseins: Wo hast Du in den Jugendjahren gegessen, getrunken und Dich mit Freundinnen und Freunden getroffen? Worüber habt ihr gesprochen, was habt Ihr erlebt, welche Musik habt ihr gehört?? – …und schon entstand, angeregt durch das Lesevergnügen von Hartmut Binders Pragreigen, ein neuer, weiter Erzählraum.