Heinrich Ignaz Franz Biber

Liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs,

in dieser Woche habe ich einige Kompositionen von Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704) gehört. Er war einer der bekanntesten Violinvirtuosen seiner Zeit, hat viele Stücke für die Violine komponiert und war am Salzburger Hof zunächst als Vizekapellmeister und später als Kapellmeister angestellt.

Verbunden mit seiner Passacaglia für Violine solo (1676) gespielt von Elicia Silverstein, wünsche ich Ihnen einen schönen Sonntag –

 

 

Emojis

Der Verlag Klaus Wagenbach veröffentlicht seit einiger Zeit eine neue Reihe (Digitale Bildkulturen, hrsg. von Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich), deren schmale, handliche Bände jeweils ein digitales Bildphänomen (wie etwa „Selfies“, „Screenshots“ oder „Gifs“) analysieren. Die Reihe „widmet sich den wichtigsten neuen Formen und Verwendungsweisen von Bildern und ordnet sie kulturgeschichtlich ein“ – so Kohout und Ullrich.

Gala Rebane hat den Band Emojis (Geschichte, Gegenwart und Zukunft einer digitalen Bilderschrift) geschrieben. Das hat mich beschäftigt, weil ich über die Entstehung dieser (ursprünglich aus japanischen Bildtraditionen stammenden) Zeichen wenig wusste.

Ich benutze Emojis in vielen meiner Mails gerne, habe jedoch beobachtet, dass ich es nur dann tue, wenn ich die Adressatinnen oder Adressaten gut kenne oder sogar mit ihnen befreundet bin. Emojis sind für mich also Zeichen, deren Verwendung eine gewisse Privatheit des textuellen Austauschs voraussetzt.

Ist diese Privatheit gegeben, fungieren sie als emotionale Stimmungsträger: sie schwächen ab, ironisieren, melden starke Euphorie oder leichten Kummer, drehen durch oder räuspern sich aus dem Abseits. Mit anderen Worten: Sie geben den eigenen Sätzen ein Bildkostüm, das die Einordnung dieser Sätze erleichtert und ihr Gewicht verständlicher macht.

Emojis zu benutzen, ist also für mich ein Hilfsmittel, um besser und vor allem nicht falsch verstanden zu werden, sie geben Sätzen bestimmte Noten. Ich verwende sie nicht so, wie ich Buchstaben verwende, sondern als begleitende Bilderschrift, die hier und da zum Akustischen tendiert. Dann erhält ein Satz einen Akzent, einen Ausruf oder einen Seufzer, und die Aneinanderreihung von Emojis ermöglicht die Erzählung einer kleinen Geschichte des Empfindens, sogar im Diminuendo.

Gala Rebanes Streifzug erhellt solche Operationen und macht Lust, mit Emojis immer virtuoser umzugehen.

Wir wollen lesen! Ein Protestbrief

In einem offenen Brief protestieren Autorinnen und Autoren empört und wütend gegen die Absage der Leipziger Buchmesse. Sie machen die großen Konzerne (Holtzbrinck, Bonnier, Penguin Random House) dafür mit guten Gründen verantwortlich. Das Desinteresse dieser Verlage an der Leipziger habe zur Absage geführt:

https://www.boersenblatt.net/news/macht-die-buchmesse-auf-wir-wollen-lesen-226543

Ähnlich argumentiert heute auch Rainer Moritz in der NZZ: „Die Macht der Konzerne hat die Messeleitung in die Knie gezwungen, zum Schaden der kleinen oder mittleren Verlage, für die Leipzig besonderes Gewicht hat.“

Die Leipziger Messe ist zusammen mit dem Literaturfestival Leipzig liest das große Frühjahrsfest der Literatur und für alle Autorinnen und Autoren, die gerade ein Buch veröffentlicht haben, von immenser Bedeutung. Die Lesungen fallen aus, die Medien berichten erheblich weniger. Der Schaden ist nicht wieder gutzumachen.

Vorfrühling eines Eisenbahn-Landwirts

Dass ich in meinem zuletzt erschienenen Roman Ombra (2021) als Eisenbahn-Landwirt in Erscheinung trete, haben viele Leserinnen und Leser für einen Witz gehalten. Dabei bin ich seit mehr als vierzig Jahren genau das: ein Eisenbahn-Landwirt, der sich auf seinen Wiesen, Hängen und Gefilden um die Blumen, Sträucher und Bäume sowie um die Tiere kümmert, die diese Ländereien bevölkern. Nachzulesen ist das in meinem Buch In meinen Gärten und Wäldern.

Heute ist, behaupte ich einfach mal, Vorfrühlingsbeginn. Die Sonne ist seit spätestens 8 Uhr präsent, 15 Grad sind für den Mittag vorhergesagt, als Eisenbahn-Landwirt spüre ich bereits das bekannte Kribbeln des Februars, eine aufreizende Unruhe, die auf das hellgrüne und frische Gelände reagiert.

„Jetzt kommt das Frühbeet zum Zug“, murmelt meine Fachzeitschrift (Eisenbahn-Landwirt, Februar 2022, 105. Jahrgang). Aber bloß nicht „ins Blaue hinein“ säen! Nein?! Aber warum nicht?! Mit den Aussaaten von Radieschen, Spinat und Stielmus sollte ich es nicht zu eilig haben. Nein?! Aber ich brenne doch darauf, irgendetwas zu tun.

Empfohlen wird der Abschluss der „Schnittmaßnahmen“ an Bäumen. Aha. Unterscheiden sollte ich zwischen Aufbauschnitt, Erziehungsschnitt und Erhaltungsschnitt. Wie bitte?! Sprechen wir im Garten etwa Bürodeutsch?! Never.

Die Erde sollte fast überall „vorsichtig flach aufgelockert“ werden. Ja, das ist mal eine gute Empfehlung!

Und dann erhalte ich, völlig unerwartet und in letzter Minute, sogar alle nur denkbaren Freiheiten: „Man muss versuchen, aus dem Fundus seiner eigenen Erfahrungen abschätzen zu können, welche Arbeiten im Garten im jeweiligen Witterungsverlauf sinnvoll sind und welche besser zurückgestellt werden…“

Sehr gut! Mein „Fundus“ ist schließlich enorm und vierzig Jahre lang gewachsen. Im Netz gelte ich sogar als „Fundus“-Experte, wie man hier nachlesen kann:

https://de.wiktionary.org/wiki/Fundus

 

Olympische Spiele in Peking

Olympische Spiele habe ich, soweit ich mich erinnern kann, immer mit besonderer Freude am Fernsehen verfolgt. Zuletzt habe ich die Spiele in Tokio in mehreren Blogeinträgen kommentiert und auf Sportarten und –szenen hingewiesen, die mir besonders gefallen haben.

Mit den Olympischen Spielen in Peking ist es jedoch anders bestellt. Die Übertragungen sind nicht die reine Freude, weil man die ganze Zeit an die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erinnert wird.

Diese Konstellationen hat eine Doku bei ARTE verdeutlicht, die ich empfehle. Wer sie gesehen hat, versteht die Hintergründe dieser Spiele genauer und ahnt, was uns aus Peking noch alles erwartet:

https://www.arte.tv/de/videos/078193-000-F/die-neue-welt-des-xi-jinping/

Literatur und Pandemie 1

Rainer Moritz, Autor und Leiter des Hamburger Literaturhauses, hat sich bei anderen Autorinnen und Autoren, bei Verlagen und Agenturen umgehört: Ist die gegenwärtige Pandemie ein großes Thema für Romane, Gedichte, Dramen? In der Neuen Zürcher Zeitung sind seine aktuellen, interessanten Recherchen nachzulesen…

https://www.nzz.ch/feuilleton/pandemie-kommt-sie-in-die-literatur-ist-sie-vorbei-ld.1664821

James Joyce und sein „Ulysses“

Vor hundert Jahren ist der Roman Ulysses von James Joyce erschienen, der noch heute für jede Leserin und jeden Leser eine überwältigende Lektüreerfahrung ist. Eine solche Lektüre sollte man vorbereiten und zunächst Wege suchen, sich diesem Roman zu nähern.

Der Strauhof in Zürich veranstaltet eine sehr sehenswerte Ausstellung, die von einem Reader und zahlreichen Veranstaltungen begleitet wird. U.a. wird der Joyce-Kenner Fritz Senn Partien des Romans lesen und erläutern: https://strauhof.ch/programm/aktuelle-ausstellung/

Eine der besten Lektüre-Einführungen hat Senn bereits veröffentlicht: Hades – ein Kapitel aus dem „Ulysses“, engl./deutsch, sorgfältig kommentiert (Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung Mainz). Wer das liest, erfährt genau, wie Joyce erzählt und worin die Besonderheit seines Jahrhundertromans besteht.

Zum Einstieg in die Lektüre empfehle ich auch die Ungekürzte Lesung der 18 Kapitel, die von verschiedenen Schauspielerinnen (Anna Thalbach u.a.) und Schauspielern (Matthias Brandt, Axel Milberg, Hanns Zischler u.a.) gelesen werden. Der Höhepunkt ist die Lesung des Schlusskapitels, der berühmt gewordene Innere Monolog der Molly Bloom, gelesen von Edith Clever! (Der Hörverlag)

(Das Foto zeigt die Lieblingsspeise der männlichen Hauptfigur des „Ulysses“)

 

 

Die Sprachen des Parlaments

(Am 3.2.2022 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)

Neulich haben zwei Autorinnen und ein Autor vorgeschlagen, die Stelle einer Parlamentspoetin oder eines Parlamentspoeten einzurichten. Katrin Göring-Eckardt, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, hat darauf mit einiger Begeisterung reagiert und versprochen, die Idee im Präsidium einzubringen. Wie zu erwarten, hagelte es hier und da zunächst einmal Spott und Kritik. Soll sich die Literatur der Politik andienen? Brauchen wir dichtende Hofnarren und Gedichte über die Impfpflicht? Und wer wählt die in Frage kommenden Personen aus?

Es hat mich nicht erstaunt, dass die Idee unter meinen Kölner Freunden dagegen sofort breite Zustimmung fand. Den Alltag in gute Songs und Lieder zu verwandeln, ist eine urkölsche Fähigkeit, die Kinder schon in den Schuljahren beherrschen. Das hat weder etwas Steifes noch Künstliches, solche Poesie entsteht fast von selbst. Sie muss auch nicht unbedingt von lauter Komik oder sattem Humor getränkt sein, nein, manchmal gelingt sie auch durch schlichte Beobachtung von Menschen und ihren Verhaltensformen. Die Wirkung einer solchen Literatur besteht vor allem darin, die Welt aus der Distanz zu porträtieren, ihr das umtriebige Getue zu nehmen und die Dinge aus unerwarteten Blickwinkeln zu betrachten. Das kann befreiend, erleichternd oder sogar wohltuend wirken.

Dass man den Bundestag mit seinen Redebeiträgen allein und in rhetorischer Quarantäne belässt, ist nicht einzusehen. Man sollte sich daran erinnern, dass die politische Rede im Alten Griechenland eine Aufgabe war, die von Meistern der Rhetorik durchdacht und in Szene gesetzt wurde. Elegantes und wirkungsreiches Sprechen waren Themen einer Schulung bis hin zu den feinsten Verästelungen von Wortwahl, Stil und Ausdruck. Auch das frühe Nachdenken über dichterische Praxis orientierte sich zunächst an der Rhetorik, als einer Kunst der bilderreichen und klangvollen Rede.

Die deutschsprachige Literatur verfügt über viele unterschiedliche Temperamente aller Altersgruppen, sich solchen Aufgaben zu stellen. Lässt man denen, die dazu bereit wären, die notwendigen Freiheiten, könnte das zu Ergebnissen führen, die man auf jeden Fall länger in Erinnerung behält als die rhetorischen Floskeln der Trockenbaureden. Eine gerade in Deutschland drohende Gefahr bestünde höchstens darin, auch ein solches Virtuosität erforderndes Schreiben in ein „Amt“ zu verwandeln und es am Ende noch mit einem Büro und Sekretariat auszustatten. Dichtung als Büroarbeit mit Aktenordnern?! Bitte nicht!

Vorstellen kann ich mir stattdessen, dass man ein Duo von Autorin und Autor für einen zeitlich begrenzten Zeitraum von etwa vier Monaten einlädt, sich zu den politischen Themen des Parlaments in jeder nur denkbaren Form (Lyrik, Sketch, Erzählung, Artikel etc.) zu äußern. Diese Texte sollten genau dort Gehör finden, wo sonst die oft staubtrockenen Reden gehalten werden. Das würde zu einer möglichen Annäherung von Parlament, Literatur und Kultur und damit von Lagern beitragen, die seit langem nicht miteinander umzugehen wissen.

Ich erinnere mich gut daran, dass sich der wunderbare Roger Willemsen einmal ein ganzes Jahr Zeit genommen hat, an den Sitzungen des Parlaments als aufmerksamer Beobachter teilzunehmen. Was er wahrnahm und erlebte, verwandelte er in ein Buch: Das Hohe Haus. Willemsen blieb die ganze Zeit auf Distanz, er mischte sich nicht unter die Rednerinnen und Redner, sondern saß wie ein Stoiker auf der Zuschauertribüne. Auf den ersten Seiten seines Buches verfolgt er einleitend am Fernsehen die Neujahrsansprache der Kanzlerin: „Herrschen? Sie spricht. Was für ein Redetyp ist dies? Eine Ansprache? Eine Gardinenpredigt? Ein Märchen? Warum nicht? In früheren Jahrhunderten hat man gepredigt…“

Ach, es ist so einfach, die richtigen Fragen zu stellen. Willemsen konnte es brillant, viele andere nach ihm werden es auch können. Und meine Kölner Freunde werden endlich wieder mehr zu lachen haben.

Der Sportfetischist

Am Freitag werden die Olympischen Winterspiele in Peking eröffnet! Längst sind die Sportfetischisten unterwegs und bereiten sich vor. Ich widme Ihnen eine „Charakter“-Studie in der Manier von Theophrasts „Charakteren“:

Schon als Kind suchte der Sportfetischist den Sport überall. Er lief mit anderen Kindern um die Wette, warf Steine weiter als sie, war ihnen auch beim Schwimmen voraus und kletterte am höchsten auf einen Baum.

Alle nur möglichen Bewegungen verwandelte er in Sport und erfand Wettbewerbe, in deren Verlauf man sich messen konnte. Citius, altius, fortius (schneller, höher, stärker) war nicht nur ein Motto der Olympischen Spiele, sondern auch die Devise, der sich der Sportfetischist mit Haut und Haar verschrieben hatte.

Waren gerade mal keine Konkurrenten zur Stelle, trat er gegen sich selbst an. Er gab sich mehrere Namen und startete einfach drauflos, mal geschickter, mal unbeholfener und gebremster.

Während er aktiv unterwegs war, kommentierte er seinen Sport wie ein Reporter, der aus jedem Wettbewerb eine spannende Geschichte machte.

„Peter K. leidet noch unter Prellungen am Fuss“, sagte er und schaute nach, ob er etwas in der Art einer Prellung an seinem rechten Fuss entdecken konnte. „Jürgen F. konnte in den letzten Wochen wegen einer starken Grippe nur wenig trainieren“, flüsterte er und schnupfte in ein Taschentuch, bevor er Jürgen F. auf eine Laufbahn schickte.

Anregungen erhielt er durch Sportsendungen im Fernsehen, von denen er kaum eine ausließ. Beinahe jede animierte ihn, es den Athleten nach zu tun, nur bei riskanteren Sportarten passte er. Turmspringen kam nicht in Frage, Boxen auch nicht, einige Turnsportarten musste er vernachlässigen, weil er nicht die passenden Turngeräte auftreiben konnte.

Unter den Sportlern, die er bei Wettbewerben verfolgte, hatte er jedes Mal einen Favoriten. Er informierte sich über ihr Leben und wusste genau, wo und wann sie mit welchen Trainern und in welchen Vereinen den Sport entdeckt hatten.

Solche Informationen baute er in seine Kommentare ein, wenn er bestimmte Phasen von Wettbewerben im Fernsehen noch einmal nachspielte. Dann war er selbst Daniil Medvedev und gewann ein Match beinahe mühelos, das Medvedev kurz zuvor noch verloren hatte. Oder er war Thomas Müller und schoss das entscheidende Tor in einer wichtigen Partie, das Thomas Müller gerade eben nicht geschossen hatte.

Der Sportfetischist hat fest vor, irgendwann ein Buch über sein Sportlerdasein zu schreiben. Einen Titel hat er schon: „Mein Goldmedaillen-Leben“.