Franz Schuberts Geburtstag

Heute Morgen erinnerte mich der Pianist Christoph Ullrich daran, dass vor zweihundertfünfundzwanzig Jahren Franz Schubert in Wien geboren wurde.

Und ich wiederum erinnerte mich an das Schubert-Buch meines Schriftstellerfreundes Hans-Jürgen Fröhlich, dessen Lektüre ich empfehle: Schubert. Eine Biographie

Clara Haskil spielt Scarlatti

Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs wünsche ich einen schönen Sonntag, verbunden mit einem Hinweis auf eine ARTE-Dokumentation über die wunderbare Pianistin Clara Haskil

https://www.arte.tv/de/videos/063669-000-A/clara-haskil-der-zauber-der-interpretation/

und ergänzt durch eine Aufnahme ihres Spiels –

 

Die Einsamkeit des Tennisspielers

Die Einsamkeit des Langstreckenläufers war der Titel eines britischen Spielfilms von 1962, an den ich mich gut erinnere. Er untersuchte die psychischen Probleme und Schwankungen eines Sportlers in Training und Wettbewerb und brachte dem Publikum solche Seiten des Sports auf beeindruckende Weise näher.

Von der Einsamkeit eines Tennisspielers hat nach der unerwarteten Niederlage von Alexander Zverev bei den Australian Open ein Sportkommentator in der SZ geschrieben und eine Verbindung zu Open, den Erinnerungen von André Agassi an seine Tennisjahre, hergestellt.

Agassi hatte in diesem Buch eine Selbstbeobachtung mitgeteilt: Als Spieler sei er während einer Partie körperlich und psychisch extrem allein. Den Gegner kontaktiere man nicht, ja, man spreche mit ihm nicht einmal ein Wort. Auf dem Platz sei man völlig isoliert, mit niemandem in näherem Kontakt.

Wie eine Spielerin oder ein Spieler mit dieser Isolation in einem meist relativ langen Spielverlauf umgehen –  das zu verfolgen, macht ein Spiel für das Publikum so enorm spannend und interessant.

Manche Spielerinnen/Spieler halten zumindest Blickkontakt mit Trainer, Freunden, Bekannten oder der Familie, die sich in der Coaching-Zone versammelt haben. Blicke gehen hin und her, Aufmunterungen sind zu hören, Applaus und Anfeuerungen. Andere vermeiden selbst diesen Kontakt und konzentrieren sich ausschließlich auf den Platz und seine heißen oder kalten Zonen.

Am kommenden Wochenende (29.01., 9.30 Uhr, Fraueneinzel/ 30.01., 9.30 Uhr, Herreneinzel) finden die Finalspiele der diesjährigen Australian Open statt. Ich bin gespannt…

Tanzen?!

Ach. Wann habe ich eigentlich das letzte Mal getanzt? Nicht kurz und nur wenige Schritte, sondern eine Stunde und mehr? Wann war das? Auf jeden Fall in Zeiten vor der Pandemie, es wird also mindestens zwei Jahre her sein.

Zwei Jahre nicht getanzt! Zwei Jahre nur gesessen, gegangen, gelaufen…, aber eben nicht getanzt! Vielleicht braucht es inzwischen etwas Animation…, und vielleicht bescheren Sylvia Camarda und Claire Chen auf ARTE genau das…

Jeux de Création

Es ist einer dieser schönen, sonnigen Wintertage, an denen die Sonne den Horizont schon am frühen Morgen aufreisst und splittet. Der Raureif auf den Wiesen glänzt wie ein Perlenteppich, der Garten starrt still, die Sträucher fangen das Licht ein, und die Bäume umkreisen Ideen für den Vorfrühling.

Welche Musik fängt genau dieses Geschehen ein? Zum Beispiel die Einspielungen der Harfenistin Anne-Sophie Bertrand auf ihrer neuen CD Jeux de Création.

Hier eines der Stücke: Jeux d’eau von Maurice Ravel…

Die Auslöfflerin

Die Charaktere des griechischen Dichters Theophrast sind schon seit langem eine meiner Lieblingslektüren. In ihnen wurden zum ersten Mal in der europäischen Literatur einzelne Typen des sozialen Lebens genau beobachtet und „charakterisiert“.

Ich folge Theophrast manchmal und schreibe Erzählungen , die sich an seine Manier anlehnen:

Die Auslöfflerin

Sie kocht gerne und lädt ihre Freundinnen einmal in der Woche zum Essen. Schon die Vorbereitungen der Mahlzeiten machen ihr Spaß: Das Einkaufen auf dem Markt, die Gespräche mit den Verkäufern über die Herkunft der Waren, die Unterhaltungen über Rezepte und Gerichte.

Sie besitzt eine beträchtliche Sammlung von Kochbüchern, für jede geliebte Region mindestens eines. Rheingau, Südtirol, Graubünden und Burgund sind die Favoriten, deren Gerichte sie um die passenden Weine ergänzt.

In der Küche legt sie die Zutaten in Reih und Glied längs und quer aus und mustert sie lange vor den ersten Kochaktionen.

Sie lässt eine Musik laufen, die zu den Gerichten passt und sie animiert. Die Klänge haben einen Bezug zur jeweiligen Region und komplettieren das angestrebte Fest für alle Sinne um das Hören.

Bevor sie mit dem Kochen beginnt, macht sie Fotografien der ausgelegten Waren, sie drapiert Gemüse und Obst zu kunstvollen Stillleben und verleiht den Fischen einen besonderen Glanz durch Licht aus den Strahlern der Decke. Hühner, Enten und Gänse erhalten jeweils ein großes Silbertablett für den Schlummer vor ihrer Zubereitung.

Sie summt leise vor sich hin und wird etwas lauter, als sie die Schrankfächer öffnet und das Küchenbesteck herausholt. Während der Kochvorgänge spielt es eine herausragende Rolle, und wer sie heimlich beobachten würde, könnte glauben, dass es sogar die Hauptrolle spielt.

Jedenfalls ist sie in bestimmte Werkzeuge (wie etwa Grillpinzetten, Pfannenwender oder Küchenzangen) verliebt und sorgt dafür, dass jedes einen eigenen Auftritt erhält. „Jetzt kommst Du dran“, flüstert sie lüstern und spickt eine Kartoffel sanft mit der Kartoffelgabel auf, bevor sie mit dem Spatel ein Pfannengericht lüftet.

Wenn die Freundinnen erscheinen, ist alles auf die Minute präpariert, und es gibt Vorspeise, Hauptgang und Dessert. Nicht zu viel, sondern jedes Mal etwas anderes.

Während der Mahlzeit hält sie sich mit dem Essen zurück. Sie hat zuvor häufig gekostet und längst keinen Appetit mehr. Die Freundinnen wissen Bescheid und sprechen sie darauf nicht an.

Statt zu essen, trinkt sie recht viel, drei oder auch vier Gläser Wein und eine ganze Flasche Wasser fast allein.

Ist die Mahlzeit beendet, verabschiedet sie sich für eine halbe Stunde. „Tut mir leid, meine Lieben“, sagt sie jedes Mal, „ich möchte kurz aufräumen, gleich bin ich wieder bei Euch.“

In der Küche räumt sie aber keinen Moment auf. Sie schaut vielmehr tief in die Töpfe, Kessel und Schüsseln und taucht einen kleinen Senflöffel in die Restsubstanzen der übrig gebliebenen Saucen.

Sie löffelt sie aus, geduldig und passioniert. „Das ist einfach das Beste“, flüstert sie und gibt den Saucen gut klingende Namen.

Als sie die Küche verlässt und zu den Freundinnen zurückkehrt, fühlt sie sich wunderbar gesättigt. „Ah, wie gut!“ sagt sie leise und fährt mit der Zunge noch einmal über die schmalen Lippen, die sie gerade mit den Wundern des späten, vollendeten Genusses bekannt gemacht hat.

Franz Grillparzer

Heute vor einhundertfünfzig Jahren ist in Wien der Schriftsteller Franz Grillparzer (1791-1872) gestorben. Er war ein Freund Ludwig van Beethovens, porträtierte ihn in einem berühmt gewordenen Erinnerungstext und schrieb die Trauerrede, die bei der Beisetzung Beethovens in Wien durch einen Schauspieler vorgetragen wurde.

Grillparzer beschäftigt mich, weil er in seinen privaten Aufzeichnungen (Tagebüchern etc.) sehr grundsätzlich über die Nähe von Musik und Literatur nachgedacht hat.

Diese Gedanken sind in seine bekannteste Erzählung Der arme Spielmann eingegangen, die ich anlässlich seines Todestags noch einmal lesen und hören werde.

http://www.digbib.org/Franz_Grillparzer_1791/Der_arme_Spielmann_.pdf

Ein Liebesgedicht von Ron Padgett

In der Frankfurter Anthologie der FAZ, die jeden Samstag erscheint, hat Ulrich Greiner am 15.01.2022 über ein Liebesgedicht von Ron Padgett nachgedacht. Hier die Übersetzung von Jan Volker Röhnert:

Wir haben jede Menge Streichhölzer daheim.
Wir haben sie immer zur Hand.
Im Moment ist Ohio Blue Tip unsre Lieblingsmarke,
früher mochten wir Diamond sehr.
Das war, eh wir Ohio Blue Tip entdeckten.
Sie sind erstklassig verpackt, kompakte
kleine Schachteln mit dunkel- und hellblauem und weißem
Etikett mit Worten gesetzt in Form eines Megaphons,
als wollten sie umso lauter in die Welt posaunen:
„Hier ist das schönste Streichholz der Welt,
sein weicher anderthalb Zoll langer Kiefernstab auf
dem ein raues Purpurkäppchen sitzt, so schlicht und
wild darauf aus sich zu entflammen,
vielleicht um zum ersten Mal der Geliebten
die Zigarette anzuzünden, und danach war nichts
mehr so, wie es mal war. Das alles will ich dir geben.“
Und du hast es mir gegeben, ich
wurde die Zigarette und du das Streichholz oder ich
das Streichholz und du die Zigarette, entflammt
zu Küssen, die himmelwärts verglühen.

Erschienen ist dieses wunderbare Gedicht in einem Band der Dieterich’schen Verlagsbuchhandlung:

Ron Padgett: „Die schönsten Streichhölzer der Welt“. Gedichte Englisch – Deutsch. Aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Jan Volker Röhnert.

Ich mag die Gedichte Ron Padgetts sehr. Sie nähern sich den alltäglichen Dingen, staunen über sie und bringen sie zum Leuchten – und das alles in einer schlichten, beinahe demütigen, jedem Ding oder Menschen den Vortritt lassenden Sprache.

Das kommt meiner Vorstellung von „guter Lyrik“ sehr nahe. Sie orientiert sich am Sehen und wacht darüber, dass das Gesehene nicht gleich in den Himmel einer metaphorisch aufgeplusterten Transzendenz abhebt. Gedichte, die mit einer solchen herbei geredeten und künstlich inszenierten Transzendenz spielen, gefallen mir meistens nicht.

Hier noch der Zugang zu Ulrichs Greiners Lesart, verbunden mit weiteren Informationen…:

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/frankfurter-anthologie/frankfurter-anthologie-ulrich-greiner-ueber-ron-padgetts-liebesgedicht-17732057.html

Altern in der Pandemie

(Am 18.01.2022 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)

Viele meiner älteren Freunde erleben die nicht endende Pandemie als einen Bruch mit ihren bisherigen Plänen und Lebensvorstellungen. Das Alter hatten sie sich als eine ruhige Epoche ausgemalt und damit Ideen für ein entspanntes Leben verbunden. In Notfällen würde die eigene Familie aushelfen, so hatten manche sich das gedacht. Fernreisen standen auf der Wunschliste, auch längere Aufenthalte in der Fremde, der Nachholbedarf erschien groß, und nichts deutete darauf hin, dass er nicht befriedigt werden konnte.

In ihrem Klassiker über das Alter hat die Schriftstellerin Simone de Beauvoir zentrale Komponenten dieser Lebensphase untersucht. Die körperlichen Erfahrungen der Alternden hatte sie mit den psychischen einer anderen Zeiterfahrung verknüpft und daraus Strategien einer Alltagsbewältigung abgeleitet. In der Pandemie aber stehen alle diese Komponenten auf dem Prüfstand und müssen notgedrungen neu gedacht werden.

Der Körper erlebt keine normale Spät-, sondern eine extreme Angstphase, er kommt kaum noch zur Ruhe. Zeit zerfällt in eine sich wiederholende Folge von hilflos wirkenden Anläufen und Aktionen, um dem Virus nicht nur zu entgehen, sondern es nach bestem Wissen für längere Zeit außer Kraft zu setzen. All diese Aktionen bringen aber keine Ruhe, sondern vermehren sich ununterbrochen weiter, so dass man in kurzen Zeiträumen ganze Lebenspläne neu entwerfen und durchdenken muss: Wie weiter? Wohin? Mit anderen? Mit der Familie?

Die körperlichen Erfahrungen verbinden sich daher nicht mehr mit denen einer vorhersehbaren Zeit und münden nicht mehr in einen Alltag, der Stabilität und einen überschaubaren Verlauf bieten würde. Hinzu kommen die großen ökonomischen Ungewissheiten. Welche Branchen wird es nach der Pandemie noch geben, welche werden ganz neue Arbeitsfelder anbieten – und wird man die vielleicht notwendigen Umorientierungen mit den früher in Aussicht stehenden finanziellen Rücklagen auch schaffen?

Mit den vertrauten Altersstrukturen zerfallen auch die Traditionen der alten Familienverbände. Firmen, Betriebe und vertraute Berufe können oft nicht mehr  weitergeführt werden, sondern bedürfen veränderter Impulse und eines Umdenkens. Das wird nicht nur von jungen, sondern auch von älteren Menschen  in immensem Maß verlangt. Die Musik und die Gebote dazu liefert momentan die Ampelkoalition, die von den melancholischen Abschiedswalzern der Merkel-Ära auf digitale Kraftwerk-Rhythmen der Habeck-Future umgeschaltet hat.

„Die Pandemie hat mir mein Alter geraubt“, ist der Satz, den mein Freund Kurt alle paar Tage wiederholt. Selbst die früheren Ruhe- und Erholungszeiten in Brauhäusern wirken jetzt wie Phasen eines unruhigen Inseldaseins, während dem man lauter dunkle Stürme am Horizonz aufziehen sieht. Wann kommt die nächste Corona-Variante? Wer zahlt die riesigen staatlichen Schuldenberge?

Die Gegenwart hat etwas Gespenstisches, und die Gespenster sind die Geister der Pandemie, die immer mehrere Schritte voraus zu sein scheinen. Man holt sie nicht ein, und wenn man sich auf ihrer Höhe glaubt, tauchen sie anderswo wieder auf, begleitet von einem Vokabular, das sich aus dem Nichts drohend aufschraubt und alle Alarmglocken läutet: „Kritische Infrastruktur“ ist das neuste Droh- und Trendwort. Die Pandemie hat längst eine eigene Sprache entwickelt, die auf den Straßen von morgens bis abends gemurmelt wird: Heinz spielt sich jetzt als „Impfbotschafter“ auf, und Marion ist eine ausgewiesene „Impfdränglerin“, die schon Daten mit dem Hausarzt für die vierte Impfung vereinbart hat. Hier und da erregt das den Phantomschmerz eines „Impfneids“, den auch eine mögliche „Impfpflicht“ leider nicht beseitigen wird.