Naturgewalten

In früheren Zeiten sprachen die älteren Leute im Falle schlimmer Naturkatastrophen von „höheren Mächten“, denen man hilflos ausgeliefert sei. Viele davon heimgesuchte Menschen brachten solche furchtbaren Ereignisse damit in Verbindung.

Daran erinnerte ich mich in diesen Tagen, als ich die TV-Bilder aus meinen zerstörten Heimatregionen in und um Köln, Bonn, Ahrweiler und entlang der Mosel sah.

Viele Verwandte leben dort.

Einer Cousine, die jetzt in Wien lebt, muss es ähnlich ergangen sein. Sie schickte mir eine Karte aus dem dortigen Kunsthistorischen Museum: Höhere Mächte – Von Menschen, Göttern und Naturgewalten.

In Gestalt von ca. hundert Objekten dokumentiert die Ausstellung, wie die zerstörerischen Gewalten von Feuer, Wasser, Erde, Luft früher große Angst und Schrecken verbreiteten und zu rituellen Anrufungen helfender Kräfte führten.

Solche Dramen prägten Kulturen der Wachsamkeit und des gemeinsamen Handelns. Sie machten Mut und erinnerten lange Zeit an das Geschehene.

Definitiv

(In erweiterter Form am 19.7.2021 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“)

In meinem Freundeskreis existiert ein seltsames Raunen. Es hat ein eigenes Vokabular, das man früher noch nicht gehört hat. Bestimmte Worte drängen sich vor und sind immer wieder zu hören, auch da, wo sie nichts zu suchen haben. Ein häufiges Wort dieses unsicher wirkenden Lebensgefühls ist zum Beispiel „definitiv“. Überall  taucht es auf, in Wetterberichten, ja selbst in harmlosen Sportreportagen. Ein Gewitter naht definitiv mit Starkregen, und die Erstrundenpartie unserer deutschen Fußballer in Tokio ist nicht gerade leicht, definitiv nicht. Woher kommt dieser Humbug?

Er reagiert auf die Unsicherheit in vielen Lebensbereichen, die durch die Pandemie entstanden ist. Lange Zeit stand nichts „definitiv“ fest, sondern musste untersucht, befragt, abgeklärt und erst aufwendig entschieden werden. Was darf man, was nicht? Solche Fragen haben unser Leben monatelang bestimmt, und sie haben Wirkungen hinterlassen.

Unter dem definitiven Lack, der die offenen Fragen und Wunden künstlich verdeckt, warten die angstmachenden Themen. Wenn sie auftauchen, zeigt sich „das Momentum“. Es biegt um die Ecke, winkt, setzt sich fest, zeigt Drohgebärden. Das Momentum bildet die Gegenwelt zum Definitivem. Es ist das Springinsfeld des sozialen Lebens, das Unerwartete, die plötzlich auftauchende, erschreckende Nachricht.

Wenn sie in digitalen Texten erscheint, hilft nur das „Digital Wellbeing“, das der Soziologe Urs Stäheli gerade in einem viel gelobten Buch über die Soziologie der Entnetzung skizziert hat. Einige meiner Freude haben gestaunt, welche Figuren des sozialen Lebens er ganz nebenbei rehabilitierte. Stell Dir vor, sagt Peter, der Schüchterne und Introvertierte hat einen großen Auftritt! Er erhält Beifall, weil er der nimmermüden Vernetzung entkommen und sich ein eigenes Reich von Themen und Lebensformen erhalten will.

Endlich darf ich wieder introvertiert sein, freut sich Peter, ja, es ist sogar angesagt und gilt als „Strategie“! Daraus lässt sich einiges drehen und machen, zunächst mal mit Hilfe einer schlichten Plug-Off-Software, die einige Zeit für absolute Ruhe und Netzstille sorgt! Zur Überwindung der Pandemie gehören eben auch solche Praktiken des radikalen Nachrichtenentzugs. Dann erst kann ein befreites Momentum nach dem andern entstehen, positiv besetzt, statt negativ und niedermachend! Das sind doch wirklich mal schöneAussichten! Definitiv!

Auf Deutschlandreise 9 – Ausstellungen im Sommer 2021 (2)

Ich habe einen Blick auf die gegenwärtigen Ausstellungen in deutschen Museen geworfen. Die Auswahl ist subjektiv, ich liste nicht die großen, viel besprochenen Ausstellungen auf, sondern solche, die mich aus biografischen und werkbezogenen Gründen interessieren.

Sehen Sie selbst, liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs – vielleicht erkennen Sie hier und da die Hintergründe…

Heidenheim, Kunstmuseum: Dieter Krieg. Sei still. Malerei (Bis 1.8.)

Karlsruhe, ZKM: Critical Zones (Bis 8.8.)

Kleve, Museum Kurhaus: Intuition! Dimensionen des Frühwerks von Joseph Beuys (Bis 3.10.)

Köln, Wallraf-Richartz-Museum: Bon Voyage, Signac! (Bis 22.8.)

Leipzig, Grassi-Museum: Murano. Farbe – Licht – Feuer (Bis 15.8.)

Marbach, Literaturmuseum der Moderne: Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie (Bis 19.9.)

Mönchengladbach, Städtisches Museum Abteiberg: Institutskritik – Das Museum als Ort der Permanenten Konferenz (Bis 24.10.)

München, Alte Pinakothek: Skulpturenfotografie in Rom 1850-1870 (Bis 18.7.) – Museum Fünf Kontinente: Sehnsucht Japan. Reiseerinnerungen des Malers Wilhelm Heine (16.7. bis 9.1.)

Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum: Papierne Gärten. Illustrierte Pflanzenbücher der Frühen Neuzeit (Bis 9.1.)

Potsdam, Museum Barberini: Rembrandts Orient (Bis 18.7.)

Ravensburg, Kunstmuseum: Auszeit. Von Pausen und Momenten des Aufbruchs (Bis 15.8.)

Italia!!

Auch für die in Deutschland lebenden Freunde Italiens war das gestern ein Jubeltag: Italien ist Europameister, die beste Mannschaft des Turniers hat den Titel geholt!

Kaum eine Sportart setzt so wie der Fußball die Emotionen frei. Zunächst im Blick auf eine Mannschaft, die im besten Fall als Ensemble erlebt wird: Elf oder mehr Spieler, die sich perfekt ergänzen und in ihrem Spiel aufeinander beziehen. Der Trainer und seine Crew als Dirigenten und Taktikstrategen.

Dahinter verbirgt sich noch immer die nostalgische Idee von den „Elf Freunden“, die miteinander Großes vollbringen. Sie ziehen aus, leiden miteinander und freuen sich nach bestandenen Prüfungen über die Maßen.

Die Siegermannschaft dieses Jahres kannte keine Stars, sondern vor allem Mitspieler. Das machte sie sympathisch und führte zu jenen Geschichten, die später das Zeug zu Legenden haben.

Dass Fußball „Geschichte schreibt“, wie der ARD-Kommentator des Finales xmal beschwor, gelingt nur, wenn die Spieler Geschichten schreiben. „Geschichte“ besteht nicht aus Einträgen in historische Chroniken, sondern aus den Erzählungen der Teilnehmenden.

Das zu erleben, macht Fußball interessant. Wie Geschichten der einzelnen Spieler sich zu einer Geschichte fügen. Deshalb schauen wir zu und erleben im Nachhinein unsere eigene: Nachts, kurz nach Mitternacht, als wir Italienerinnen und Italiener waren…

Auf Deutschlandreise 8 – Ein Sommerkonzert in München

Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs wünsche ich einen ruhigen, entspannten Sonntag – und lade Sie ein…

…zu einer Sommernachtsmusik auf dem Odeonsplatz in München, die am vergangenen Freitag dort stattfand.

Die Pianistin Yuja Wang spielt das zweite Klavierkonzert von Rachmaninow, eines der virtuosesten und schwierigsten Klavierkonzerte überhaupt.

Und sie verblüfft danach mit einer Zugabe…

Viel Freude damit!

https://www.zdf.de/kultur/musik-und-theater/sommernachtsmusik–open-air-aus-muenchen-100.html

Olaf Scholz in Venedig

Anfang dieses Jahres hat Italien den Vorsitz in der G20-Gruppe der großen Industrienationen übernommen, deren Vertreter sich regelmäßig treffen.

Das freut Olaf Scholz besonders. Heute sind nämlich die Finanzminister dran, und sie treffen sich wo? In Venedig!

Was hat Olaf Scholz dort vor, außer mit den Kolleginnen und Kollegen über die globale Mindestbesteuerung von Großunternehmen zu sprechen? Wird er in den Markusdom gehen? Wird er in freien Minuten eine Gondel besteigen? Wird er auf den Lido fahren, um nach Dienstschluß ein Bad im Meer zu nehmen?

Der heutige Tag wird in Venedig ein wolkenloser Sommertag mit idealen Temperaturen um 28 Grad sein.

Olaf Scholz könnte einen chicen Panamahut gegen die Sonne tragen und nach Ende der Besprechungen gegen 18 Uhr durch die Calli schlendern und dem Jazz lauschen, der dort gerade von vielen Gruppen gespielt wird. Am Abend könnte er sich die Oper Rigoletto im Palazzo Barbarigo Minotto anschauen und einen Nachtspaziergang anschließen.

Hanns-Josef Ortheils Buch Venedig – eine Verführung wird er dabei haben, und in den Stunden nach Mitternacht wird er das wunderbare Venedigbuch von Philippe Monnier (Venedig im achtzehnten Jahrhundert) lesen, das gerade in der FAZ in einer enthusiastischen Rezension vorgestellt wurde.

Olaf Scholz wird mit dem Nachwort von Hanns-Josef Ortheil beginnen und lesen und lesen: Der Schriftsteller Philippe Monnier ist zweiundvierzig Jahre alt, als er sich Anfang des Jahres 1907 von dem aus Genf stammenden Maler Charles Giron (1850-1914) porträtieren lässt…

https://www.g20.org/media/photos-and-videos/ministerial-meetings-media/finance-media.html

Auf Deutschlandreise 7 – Ausstellungen im Sommer 2021

Ich habe einen Blick auf die gegenwärtigen Ausstellungen in deutschen Museen geworfen. Die Auswahl ist subjektiv, ich liste nicht die großen, viel besprochenen Ausstellungen auf, sondern solche, die mich aus biografischen und werkbezogenen Gründen interessieren.

Sehen Sie selbst, liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs – vielleicht erkennen Sie hier und da die Hintergründe…

Aachen, Suermondt-Ludwig-Museum: Dürer war hier. Eine Reise wird Legende (18.07. – 24.10.)

Bad  Homburg, Museum Sinclair-Haus: Was ist Natur? (Bis 22.8.)

Bergisch Gladbach, Kunstmuseum Villa Zanders: Leere Kisten als plastisches Thema bei Joseph Beuys (Bis 8.8.)

Berlin, Deutsches Historisches Museum: Documenta. Politik und Kunst (Bis 9.1.) – Sammlung Scharf-Gerstenberg: Pflanzen brechen aus der Erde (Bis 30.9.)

Bielefeld, Kunstforum Hermann Stenner: Hans Purrmann. Ein Leben in Farbe (Bis 15.8.)

Bonn, Bundeskunsthalle: Aby Warburg (Bis 25.7.)

Bottrop, Josef Albers Museum: Joseph Egan und Anton Himstedt (Bis 31.10.)

Darmstadt, Hessisches Landesmuseum: Joseph Beuys. Ulysses. (Bis 26.9.)

Dresden, Japanisches Palais: Sprachlosigkeit. Das laute Verstummen (Bis 1.8.)

Düsseldorf, Kunstsammlung NRW/K20: Jeder Mensch ist ein Künstler. Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys (Bis 15.8.)

Göppingen, Kunsthalle: Barbara Klemm – Fritz Schwegler (Bis 1.8.)

Halle/Saale, Landesmuseum für Vorgeschichte: Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra (Bis 9.1.)

Hamburg, Deichtorhallen: Katharina Sieverding. Fotografien, Projektionen, Installationen 2020-1966 (Bis 25.7.)     

(Wird fortgesetzt…)

Italien im Sommer – am Strand entlang

Pier Paolo Pasolini (1922-1975) war nicht nur ein großer Romancier und Lyriker, sondern auch ein Schriftsteller, der die kulturellen Verschiebungen im Nachkriegsitalien so genau beobachtete und analysierte wie kaum ein anderer.

Um von ihnen zu berichten und zu erzählen, machte er 1959 in seinem kleinen Fiat eine lange Reise an den Stränden Italiens entlang. Daraus entstand Die lange Straße aus Sand, ein Buch, das vor kurzem im Corso Verlag erneut erschienen ist.

Der Dokumentarfilmer Pepe Danquart (geb. 1955) hat dieses Buch jetzt als Vorlage für einen Film (Vor mir der Süden) benutzt, der dieselbe Fahrt noch einmal aus heutiger Perspektive dokumentiert. „Ich hatte drei Dinge im Kopf“, erläutert Danquart, „das eine war der Massentourismus, der sich in absurde Formen hochgeschraubt hat. Das zweite war die Migrationsbewegung…Das dritte ist das, was Pasolini als „Konsumismus“ bezeichnet hat, dass eine Ideologie in den Köpfen entsteht, die er „hedonistischen Faschismus“ nannte. Heute würde man sagen: Neoliberalismus…“.

„Ich war nirgends vorab“, erzählt Danquart weiter, „ich habe mich auf den dokumentarischen Zufall verlassen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Ich bin in neun Wochen 8500 Kilometer gefahren und hatte nie mehr als zwei Tage pro Ort. In diesem Zeitraum musste ich die Motive finden…“

Die Kinos haben wieder geöffnet, Danquarts Film ist genau der richtige für Bilder eines Italien im Sommer…

https://www.danquart.de/de/home

 

Auf Deutschlandreise 6 – Eine weitere Einladung

Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs wünsche ich einen intensiven, entspannten Sonntag – und lade Sie ein…

…zur Eröffnung des Schleswig-Holstein-Musikfestivals, die heute Abend live von 3sat ab 20.15 Uhr übertragen wird.

Auf den Pianisten Jan Lisiecki habe ich schon mehrfach hingewiesen, er wird Beethovens 3. Klavierkonzert spielen!

Viel Freude damit!

https://www.3sat.de/kultur/musik/schleswig-holstein-musik-festival-2021-102.html

(Auch in der 3sat-Mediathek abrufbar!)

 

Rom im Sommer 2021

Gestern veröffentlichte die FAZ auf der ersten Seite Ihres Feuilletons ein langes Gespräch mit Virginia Raggi, der Bürgermeisterin von Rom, die sich gerade wieder um dieses einzigartige Amt bewirbt. Dadurch erfuhren wir Rom-Ekstatiker, was in der „Hauptstadt der Welt“  (Goethe) gerade ansteht und uns im Sommer begeistern wird.

An erster Stelle wird das die Wiedereröffnung des Augustus-Mausoleums sein. „Das ist mein neuer Lieblingsplatz in Rom“, sagt Frau Raggi, „seit Jahrzehnten war dieser sagenumwobene Ort geschlossen und diente zuvor den unterschiedlichsten Zwecken – als Garten, Stierkampfarena und für Opernaufführungen.“

Sehr schön, an diesen Ort ziehen wir gern. Und weiter? „Stellen Sie sich etwa vor, Sie sitzen an einem lauen Augustabend im Circus Maximus und hören eine Open-Air-Oper wie Madame Butterfly oder Il trovatore.“

Wir sind dabei! Und weiter? Stellen Sie sich vor, „Sie gehen in den Palazzo delle Esposizioni und besuchen die Quadriennale, eine große Ausstellung zeitgenössischer Kunst“!

Frau Raggi blickt aber auch noch einmal zurück auf die grausamen Tage der Pandemie: „Ich bin sehr stolz darauf, dass knapp drei Millionen Menschen nicht nur die sehr starken Einschränkungen ihrer Freiheit akzeptiert haben, sondern auch füreinander eingestanden sind. So ist in der Stadt ein neues Gemeinschaftsgefühl entstanden.“

Das werden auch wir hoffentlich kennenlernen und erleben, im Sommer 2021, vielleicht begleitet und geleitet von Hanns-Josef Ortheils Rom-Büchern: Rom. Eine Ekstase (Insel-Taschenbuch) oder Rom, Villa Massimo (btb-Taschenbuch) oder Faustinas Küsse. Roman (btb-Taschenbuch).