Pierre Laurent Aimard in Salzburg

Leider kann ich in diesem Jahr nicht zu den sommerlichen Festspielen nach Salzburg fahren, um dort (wie in früheren Zeiten) große Pianistinnen oder Pianisten während ihrer Auftritte zu beobachten.

Zum Ersatz verfolge ich aber die Konzertkritiken, die in der überregionalen Presse erscheinen. Sie lassen mich zumindest ansatzweise imaginieren, wie bestimmte Konzerte verlaufen sind. Welche also hätte ich mir unbedingt angeschaut?

Unbedingt: das erste des französischen Pianisten Pierre Laurent Aimard mit Beethovens Bagatellen. Und auch das zweite mit den Études von György Ligeti! (Beide Konzerte übrigens ohne Pause, etwas über eine Stunde lang! So sollte es sein…)

Aimard hat einige dieser Études auch für das Publikum seziert, so etwa die Nr. 13 (L‘ escalier du diable):

Hier das Stück ohne interpretierende Vorstellung:

 

Verbunden mit Salzburg, Aimard und Ligeti wünsche ich Ihnen ein konzentriertes, schönes  Wochenende!

Erlebte Intensitäten

(Am 4.8.2023 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)

Die Hitzewellen im mittelmeerischen Süden führen in den Nordländern momentan zu Debatten über neue Formate des Urlaubs. Selbst Karl Lauterbach ist während eines Ferienaufenthaltes in Rom aufgefallen, dass es dort wärmer war als er erwartet hatte. Leider konnte er sich nicht beherrschen und griff wie ein hastiger Jüngling gleich zur Twitter-Konsole, um sich für immer vom sommerlichen Süden zu verabschieden.

Nun richtet sich das Wetter zum Glück nicht nach Karl Lauterbach, und seine italienischen Freunde haben das einzig Richtige getan und ihn zur Strafe nach Rimini eingeladen. Der Sommerurlaub bleibt dennoch ein akutes Thema, zu dem die alten Römer viel hätten beitragen können. Sie liebten es nämlich, sich in den heißen Jahreszeiten in ländliche Gegenden zurückzuziehen und dort möglichst viele ruhige Tage zu verbringen.

Erwachen bei Sonnenaufgang, kleine, sorgfältig zubereitete Mahlzeiten, Vertiefung in die Künste, Gedichte und wohlklingende Prosa, kurze Spaziergänge, am Nachmittag ein Bad, später heitere, nicht allzu tiefgehende Gespräche, Tanz am Abend, Staunen über die Schönheit der Sterne in der Nacht. Das waren Tagesabläufe, die der jüngere Plinius in seinen Briefen bis ins Detail beschrieben und ausgemalt hat, so dass man sich während der Lektüre augenblicklich in einen Menschen verwandelt, dem ein stabiles Glück verheißen wird.

Unsere Ferienanbieter scheinen davon wenig gehört zu haben. In ihren trubeligen Reiseprogrammen jagt eine flüchtige Aussicht auf eine Bucht und ein Ferienparadies die nächste, und man tut alles, damit der für wenige Wochen in der Fremde lebende Urlauber die Tage wie Jagdmanöver gestaltet, die fürs Smartphone zelebriert werden. Das alles hätte dem bevorzugt in entlegene Bergregionen reisenden Philosophen Theodor W. Adorno gar nicht gefallen, der in solchen Fällen kritisch und scharf eingewandt hätte, dass es sich nicht um Aktionen „in menschenwürdigem Sinne“ handle.

Bei näherem Hinsehen planten die alten Römer ihren Sommer auf dem Land wie einen intensiv gewordenen Alltag. Keine politischen Debatten, nicht die üblichen Themen des Tages, sondern klug Ausgewähltes sollte diesen Alltag gestalten. Nicht allzu weit entfernt also vom Bekannten, nur bewusster, gezielter und wacher – das waren ihre Urlaubsideen. Solchen Vorstellungen von gelingendem Leben entsprach es nicht, den Menschen in einer der schönsten Jahreszeiten so lange auf den Kopf zu stellen und durchzuschütteln, bis er halb bewusstlos wieder nach Hause kommt, um bereits wenige Tage später vieles wieder vergessen zu haben. Stattdessen ging es ihnen um erlebte Intensitäten, die umso stärker wirkten, je näher sie sich an dem orientierten, was einem vertraut war.

Heutige Urlaubsideen wollen aus dem Urlauber dagegen oft einen anderen, neuen Menschen machen. Die Nachwirkungen der geplanten Hektik sind jedoch nicht selten depressive Verstimmungen, die daher rühren, dass man von allem zu viel und nichts tiefergehend erlebt hat. Vielleicht hilft die Plinius-Lektüre: „Du fragst mich, wie ich in Tuscien im Sommer meinen Tag einteile. Ich werde wach, wann ich mag, meist um die erste Stunde, oft auch früher, seltener später. Die Fenster bleiben geschlossen; wunderbar, wie ich, durch die Stille und Dunkelheit geschützt gegen alles, was ablenkt, frei und mir selbst überlassen, nicht den Augen mit dem Geiste, sondern dem Geist mit den Augen folge…“

Das ist es, ganz einfach – und schon kann ein Tag beginnen, der seinesgleichen sucht. Dem Geist mit den Augen zu folgen, diese Umkehrung aller Urlaubswerte liest sich geradezu revolutionär und könnte sogar Karl Lauterbach stimulieren, sofern er nicht gleich wieder zupackt und Plinius-Botschaften per Twitter in alle Welt versendet.

Donna Leon lehrt Creative Writing

In einem Gespräch mit Sylvia Staude, das die FR veröffentlicht hat, spricht Donna Leon (ohne das zu beabsichtigen) wie eine umsichtige Lehrerin des „Creative Writing“ (und nicht des „Kreativen Schreibens“ – da gibt es große Unterschiede!).

So erläutert sie im ersten Schritt, welche konzeptionellen Überlegungen dem Schreiben ihrer Brunetti-Romane vorausgingen: welche Dramaturgie der Figuren, welche Erzählform? Sie erläutert das formelhafte der Strategien beim Schreiben eines Kriminalromans – im Gegensatz zum Schreiben von Romanen, für die man „eine Bühne“ entwerfen müsse.

Im zweiten Schritt entwirft sie ihre Hauptfigur: warum ein Mann, warum Brunetti, in welchem Umfeld agiert er, was kann man mit dieser Figur zeigen, was nicht?

Und im dritten und vierten Schritt spricht sie über die Aufnahme ihrer Bücher, die Leserinnen und Leser, den Verlag, das deutsche Publikum, bis sie mit einer Leseempfehlung endet: David Copperfield von Charles Dickens. Diesen wunderbaren Roman habe sie lange nicht mehr gelesen, jetzt lese sie ihn wieder, mit großer Begeisterung.

Nach der Lektüre dieses interessanten Gesprächs, in dem sich eine Schriftstellerin klug, einleuchtend und nachvollziehbar zu Dramaturgien des Schreibens äußert, habe auch ich wieder begonnen, den David Copperfield zu lesen (ich werde berichten).

Und ich habe mich an meine Hommage für die Donna Leon-Filme der ARD erinnert, über die Donna Leon leider nicht spricht. (Man findet die Erzählung Brunetti winkte auf den Seiten 135-145 der Kunstmomente.)

 Hier geht es zum Gespräch:

https://www.fr.de/kultur/literatur/schriftstellerin-donna-leon-ich-kann-kriminalliteratur-nicht-mehr-lesen-92429296.html

Ein Strafprozess am Landgericht Koblenz 2

An den ersten Tagen des Strafprozesses wegen schwerer Brandstiftung in der Pfarrkirche Kreuzerhöhung meines westerwäldischen Heimatortes Wissen Sieg (am Landgericht Koblenz – siehe Blog vom 26. Juli 2023) wurden die Biografie des Täters und der Ablauf der Tat genauer beleuchtet.

Der Täter stammt aus Kirgisistan, lebt aber seit langem in Deutschland. Einen Schulabschluss hat er nicht, gearbeitet hat er zeitweise als Pflegekraft in einem Seniorenheim. Dort ist er nach der Verurteilung wegen einer Straftat entlassen worden, er hatte eine ältere Seniorin derart massiv geschlagen, dass sie Hämatome erlitten hatte. Gegenwärtig lebt er von 500.- Euro Bürgergeld monatlich, Miete, Heizung und Strom bezahlt der Staat.

In Wissen/Sieg hatte er einen Freund besucht, bei dem er schon mehrere Male zu Gast gewesen war. Am Tatabend hatte er in dessen Wohnung sechs Flaschen Tequila-Bier und anschließend in einem Bistro weitere Flaschen Bier und Jägermeister getrunken, bis er sich an einer Tankstelle erneut mit vielen Flaschen Bier und einem erheblichen Quantum Jägermeister versorgt hatte. Während seines Alkoholkonsums hatte er außerdem Tabletten zu sich genommen, wodurch die Wirkung des Alkohols noch gesteigert worden war.

Der Täter gab an, in der Nacht schwer depressiv am Bahnhof Halt gemacht und daran gedacht zu haben, sich vor einen Zug zu stürzen und das Leben zu nehmen. Er sei aber dann in Richtung der Kirche weitergegangen. Er erinnere sich nicht mehr, was dort geschehen und wie es zu der Brandstiftung gekommen sei.

Die Erinnerung setzte angeblich erst danach wieder ein, als er die Wissener Psychiatrie aufsuchte und mit Selbstmord drohte. Bei seiner Aufnahme wurde eine Alkoholisierung von 1,6 Promille festgestellt – beim Tathergang soll sie jedoch noch erheblich grösser gewesen sein (2 Promille und möglicherweise noch mehr).

Der Prozess wird am 7. August 2023 um 9 Uhr in Saal 105 des Landgerichts Koblenz fortgesetzt. Dann sollen auch die psychiatrischen Gutachten gehört werden.

Meine Lesung im TAL

Liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs,

heute möchte ich auf eine ganz besondere Lesung aus meinem neuen Buch Kunstmomente (btb) hinweisen und sie herzlich dazu einladen. 

Dessen letzte Kapitel gelten der Gegenwartskunst und dabei u.a. dem bildhauerischen Werk von Erwin Wortelkamp und der von ihm entworfenen und zusammen mit vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern gestalteten Landschaftskomposition IM TAL (www.im-tal.de).

Seit Jahrzehnten habe ich sie während meiner Westerwaldtage immer wieder besucht, sie ist ein Kunst- und Naturerlebnis, wie es sie in dieser Form kein  zweites Mal in Deutschland gibt. 

Am Samstag, 19.08.2023, werde ich um 19 Uhr im „Haus für die Kunst“ in Hasselbach (Schulstraße 18) aus meinem Buch lesen.

Passend und geradezu ideal ist, dass eine Führung durch das TAL (ab 16 Uhr) der Lesung vorausgehen und  damit auf sie einstimmen wird. Im Anschluss an die Lesung wird zu einem abendlichen Imbiss geladen, die Getränke sind selbst zu zahlen.

Teilnahmekosten: Lesung – 20 € (inkl. Abendimbiss!/für Zuhörer unter 18 freier Eintritt)/ Talführung – 10 € (für Schüler und Studenten 2 €)

Da mit vielen Besucherinnen und Besuchern gerechnet wird, ist eine Anmeldung bis zum 11.8.2023 an post@im-tal.de oder 02686/604 angebracht. 

Ich freue mich auf Ihr Kommen und ein gemeinsames Erleben von Natur, Kunst und Literatur – und wünsche Ihnen ein entspanntes Wochenende!

Sebastian Sternals Solo-Album Thelonia

Mit dem Pianisten Sebastian Sternal bin ich vor nun schon einiger Zeit an zwei Abenden in Mainz als Duo (Musik/Literatur) aufgetreten.

Jetzt hat er – nach vielen mit Preisen ausgezeichneten Ensemble-CDs – seine erste Solo-CD (Thelonia) veröffentlicht.

Jedes Stück löst einen Text in mir aus, und bei jedem Hören einen anderen: Bilderzählung, Geschichte, Figurenerscheinung, Bewegtes Spiel. Die Musik umkreist einen Impuls, den das Schreiben zu filtern und zu belichten scheint.

Thelonia wirkt wie eine zyklische Folge von Charakterstücken, die sehr verschieden sind und von denen jedes einen eigenen Raum eröffnet. Das erinnert mich an Robert Schumanns Klavierzyklen (Papillons/ Kinderszenen u.a.).

Denke ich zum Beispiel beim Hören von Traum nicht an Schumanns Träumerei?

Ein Strafprozess am Landgericht in Koblenz

Am 11. Februar 2023 habe ich in diesem Blog die traurige Nachricht von der schweren Brandstiftung in der katholischen, über tausend Jahre alten Kirche Kreuzerhöhung meines westerwäldischen Heimatortes Wissen/Sieg mitgeteilt.

Der Einzeltäter war nachts in die Kirche eingebrochen, hatte die Kirchenbänke aufeinander getürmt und ein derartig großes Feuer entzündet, dass viele wertvolle Teile des Inventars (wie der barocke Hochaltar, die Orgeln und die Fresken des Kölner Dommalers Peter Hecker) zerstört worden waren.

Die Kirche ist für Jahre geschlossen, die Sanierungsarbeiten laufen.

Gestern begann am Landgericht Koblenz der Strafprozess, der an vier weiteren Prozesstagen im Juli (27.07. und 28.07.) und August (7.8. und 8.8. 2023, jeweils um 9 Uhr in Saal 105) fortgesetzt wird.

Der SWR hat berichtet:

https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/koblenz/feuer-in-wissener-kirche-mutmasslicher-brandstifter-vor-gericht-100.html

Die Lesung als Fest

Die Lesung am vergangenen Freitag auf dem Weingut Pieper-Basler in Offenburg war sicher eine der schönsten Lesungen der letzten Jahre. Fast 300 Leserinnen und Leser waren nicht nur aus dem Badischen angereist, kosteten den exzellenten Wein und hörten eine Lesung, in deren Verlauf ich aus mehreren Büchern (Der Stift und das Papier, Die Moselreise, Danke für die Einladung, Ein Kosmos der Schrift u.a.) Passagen über Essen und Trinken las.

Die Abendsonne erleuchtete den großen Hof, in der Pause konnten die Gäste sich erfrischen und etwas zu sich nehmen, und ich saß mehrere Stunden auf einem Klavierhocker und kam mir vor wie ein DJ, der seine Texte auflegte, als wären es musikalische Nummern.

Es war ein sommerliches Fest, so, wie man Literatur präsentieren sollte: Nicht nur in geschlossenen Räumen, sondern im Freien, verbunden mit Menschen, die zu feiern und Literatur zu erleben verstehen.

(Das Foto zeigt den Ort der Lesung ca. 90 Minuten vor Beginn…)

Sommerlich-musikalische Reise nach Venedig

Im vergangenen Jahr ist das Album Venice der polnischen Pianistin und Komponistin Hania Rani erschienen, die sich zurzeit auf Sommertournee befindet und gestern in der Kölner Stadthalle aufgetreten ist.

Liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs, verbunden mit einer Nummer aus diesem Album wünsche ich Ihnen ein entspanntes Wochenende!

Ein Kosmos der Schrift aus Essen und Trinken

Ein Kosmos der Schrift (erschienen bei btb)das ist jenes Buch, in dem ich, geleitet durch Fragen meines Lektors Klaus Siblewski, nicht nur große Teile meiner Biographie erzählt, sondern auch zu erklären versucht habe, wie meine literarischen Texte entstanden sind und welche Umstände und Hintergründe sie hervorgebracht haben.

In der heutigen Lesung (ab 19.30 Uhr im Freien!) auf dem Weingut Pieper Basler in Offenburg (Weierbächle 1-3, 77654 Offenburg) gehe ich einigen dort entworfenen Leitmotiven nach, die sich um die Themen Essen und Trinken bewegen. Wo tauchen solche Motive in meinen Büchern auf und welche Bedeutung haben sie?

Ich starte in einem Kölner Brauhaus und bewege mich dann durch meine Bücher, an die Mosel (zu einer Weinprobe), an die Adria (zu einem Liebesmahl) und an viele andere Orte und Räume, die sich auf Tellern und in Gläsern in bestimmte Speisen verwandeln.

Letztlich geht es also um Zauberei und um Verwandlungskünste.